Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
Vom Netzwerk:
der Welt auswendig. Sie hat sehr früh erkannt, was aus ihm werden könnte, aber auch, was auf keinen Fall aus ihm werden durfte, und sie hat hart mit ihm gearbeitet.«
    Bei diesem Wort scheint sich auch ihre Miene für einen Augenblick zu verhärten.
    »Das tut sie immer noch«, setzt sie hinzu. »Unablässig ... Als hätte sie Angst, er könnte ins Loch fallen.«
    Sie sagt nicht ein Loch, wie Max bemerkt, sondern das Loch. Der Lärm einer Lambretta, die mit knallenden Fehlzündungen vorbeifährt, lässt sie zusammenfahren.
    »Ganz unrecht hat sie nicht«, sagt sie düster und senkt die Stimme. »Ich habe schon viele hineinfallen sehen.«
    »Jetzt übertreiben Sie aber. Sie sind doch noch so jung.«
    Ihr Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen, das sie zehn Jahre älter macht: schlagartig und beinahe brutal. Dann entspannen sich ihre Züge wieder.
    »Ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr«, erklärt sie. »Ich habe viele Spieler böse enden und sich in Karikaturen ihrer selbst verwandeln sehen, sobald sie nicht vor dem Brett sitzen. Ganz nach oben zu kommen erfordert eine Höllenarbeit. Vor allem, wenn man die Spitze nie erreicht.«
    »Hatten Sie auch davon geträumt, ganz nach oben zu kommen?«
    »Warum sprechen Sie in der Vergangenheit? Ich spiele schließlich noch.«
    »Verzeihen Sie. Ich kenne mich nicht aus. Ich dachte, das sei so ähnlich wie bei den Toreros in Spanien. Wer es nicht zum Matador schafft, wird Gehilfe. Aber ich wollte Sie nicht beleidigen.«
    Sie blickt auf Max’ Hände. Altersflecken auf den Handrücken. Kurze, gepflegte Nägel.
    »Sie wissen nicht, was eine Niederlage ist.«
    »Wie bitte?« Fast hätte er aufgelacht. »Was weiß ich nicht?«
    »Man braucht Sie bloß anzuschauen. Ihre ganze Aufmachung.«
    »Ach so.«
    »Vor dem Brett zu sitzen und die Folgen eines taktischen Irrtums zu begreifen. Zuzugucken, wie leicht sich dein Talent und dein ganzes Leben in nichts auflösen.«
    »Verstehe ... Aber wetten sollten Sie darauf nicht. Schachspieler besitzen kein Monopol auf Niederlagen.«
    Sie scheint nicht zugehört zu haben.
    »Auch ich wusste alle Länder und Hauptstädte der Welt auswendig«, sagt sie, »oder sonst etwas in der Art. Aber es läuft nicht immer so, wie es sollte.«
    Ihr Lächeln hat fast etwas Heroisches. Fürs verehrte Publikum. So kann nur ein Mädchen lächeln, denkt Max. Und sich auf die Wirkung verlassen.
    »Es ist schwierig für eine Frau«, setzt sie hinzu, und ihr Lächeln erlischt. »Immer noch.«
    Die Sonne, die von Tisch zu Tisch über die Terrasse gewandert ist, scheint ihr jetzt ins Gesicht. Sie kneift unwillig die Augen zusammen und setzt die Sonnenbrille auf.
    »Die Begegnung mit Jorge hat mir neue Möglichkeiten eröffnet. Das alles aus der Nähe zu erleben.«
    »Lieben Sie ihn?«
    »Sie sind unverschämt. Ist das ein Privileg des Alters?«
    »Klar. Einen Vorteil muss es ja haben.«
    Schweigen. Verkehrslärm. Ein fernes Hupen.
    »Mecha sagt, Sie seien ein gutaussehender Mann gewesen.«
    »Wahrscheinlich war ich das. Wenn sie es sagt.«
    Die Sonne bescheint inzwischen auch Max, der sein Spiegelbild in den großen dunklen Brillengläsern des Mädchens sieht.
    »Ja«, sagt sie sachlich. »Selbstverständlich liebe ich Jorge.«
    Sie schlägt die Beine übereinander, und Max schaut einen Moment auf ihre jungen, nackten Knie. Die flachen Ledersandalen entblößen die Füße mit den dunkelrot, fast brombeerfarben lackierten Nägeln.
    »Manchmal beobachte ich ihn, wenn er vor dem Brett sitzt und einen seiner waghalsigen Züge macht«, fährt sie fort, »und dann liebe ich ihn wahnsinnig ... Aber wenn er etwas falsch macht, wenn er von dem, was wir gemeinsam erarbeitet haben, in letzter Minute abweicht oder zu zögern beginnt ... dann hasse ich ihn aus tiefster Seele.«
    Sie verstummt und scheint zu überlegen, ob sie sich verständlich ausgedrückt hat.
    »Ich glaube, ich liebe ihn mehr, wenn er gerade nicht Schach spielt.«
    »Das ist ganz natürlich. Sie beide sind jung.«
    »Nein ... Das hat mit Jungsein nichts zu tun.«
    Sie schweigt so lange, dass er das Gespräch für beendet hält. Er winkt dem Kellner und bittet um die Rechnung, indem er mit der erhobenen Hand pantomimisch in die Luft schreibt.
    »Wissen Sie was?«, sagt Irina unvermittelt. »Wenn Jorge ein Turnier spielt, kommt seine Mutter jeden Morgen zehn Minuten vor dem Frühstück herunter, um sich zu vergewissern, dass alles bereitsteht.«
    Er meint, einen leicht bitteren Ton herauszuhören. Einen

Weitere Kostenlose Bücher