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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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schwarzen Bauern, den der Russe soeben vom Brett genommen und zu den anderen geschlagenen Figuren beiseite gestellt hat. Sofort vom Gehilfen des Schiedsrichters am Wandbrett nachvollzogen, scheint dieser Zug Sokolows einem schwarzen Läufer, der bis dahin blockiert gewesen ist, freie Bahn zu bieten.
    »Damit tut er sich keinen Gefallen«, wispert der Capitano. »Ich glaube, der Russe hat sich einen Schnitzer geleistet.«
    Max schaut zu Mecha hinüber, die in der ersten Reihe sitzt, kann aber ihr Gesicht nicht sehen; nur ihr kurzes silbriges Haar auf dem bewegungslosen Kopf. Neben ihr sieht er teilweise Irinas Profil. Die Augen des Mädchens sind nicht auf das Brett an der Wand, sondern auf den Tisch und die Spieler gerichtet. An ihrer Seite sitzt Karapetian mit halb offenem Mund und stierem Blick. Die übrige erste Reihe und ein Teil der zweiten sind von der vollzähligen sowjetischen Delegation besetzt: achtzehn Personen zählt Max. Betrachtet man sie einen nach dem anderen – Kleidung, die im Westen aus der Mode ist, weiße Hemden, schmale Krawatten, qualmende Zigaretten, undurchdringliche Mienen –, fragt man sich unweigerlich, wie viele von ihnen für den KGB tätig sind. Oder ob es überhaupt einer nicht ist.
    Etwa fünf Minuten nach Sokolows letztem Zug prescht Keller mit seinem Läufer vor und stellt ihn in die Nähe eines weißen Bauern und eines weißen Springers.
    »Nicht zu fassen«, murmelt Tedesco aufgeregt.
    »Brandgefährlich«, zischt Lambertucci. »Aber guckt euch nur die Kaltblütigkeit dieses Russen an. Der zuckt nicht mit der Wimper.«
    Wieder geht ein Raunen durchs Publikum, dann herrscht vollkommene Stille. Sokolow brütet, regungslos, bis auf dieTatsache, dass er eine neue Zigarette angezündet hat, und blickt jetzt mit gesteigerter Aufmerksamkeit auf das Brett; vielleicht auf den weißen Bauern, der, soweit Max verstanden hat, der Schlüssel zu dem sein kann, was hier in Wahrheit geschieht. Und in dem Moment, als Keller nach einem langen Schluck Orangensaft wieder Anstalten macht, sich zu erheben, zieht der Russe diesen Bauern zwei Felder nach vorn – unvermittelt, aggressiv – und schlägt dann heftig auf die Uhr. Als hätte er seinen Gegner am Aufstehen hindern wollen. Was ihm gelungen ist. Der junge Mann hält mitten in der Bewegung inne und sieht den Russen an. Zum ersten Mal seit Beginn der Partie kreuzen sich ihre Blicke. Dann lässt er sich langsam wieder auf den Stuhl sinken.
    »Kurz vor Zapfenstreich«, murmelt Tedesco voller Bewunderung, als er mit einem Mal die Tragweite des Spielzuges begreift.
    »Was ist passiert?«, fragt Max.
    Es dauert einen Moment bis der Capitano antwortet, der gebannt dem schnellen, fast wütenden Schlagabtausch folgt, den die Spieler jetzt vollziehen. Läufer gegen Bauer, Springer gegen Läufer, Bauer gegen Springer. Klack, klack, klack. Das Klacken der Uhr ertönt alle drei oder vier Sekunden, als folgte alles einem vorgefassten Plan. Und vielleicht tut es das ja, überlegt Max.
    »Der weiße Bauer hat den Schlagabtausch erzwungen, weil er den Angriff des Läufers aufhalten musste«, sagt Tedesco schließlich.
    »Und wie er ihn aufgehalten hat!«, bekräftigt Lambertucci.
    »Er hat es im selben Augenblick gesehen. Blitzschnell.«
    Keller hält die letzte geschlagene Figur seines Gegners noch in der Hand. Er stellt sie an die Seite zu den anderen, trinkt einen großen Schluck Orangensaft und senkt langsam den Kopf, als fühlte er sich nach langer Anstrengung plötzlich erschöpft. Dann wendet er sich für einen Moment mitausdruckslosem Gesicht seiner Mutter, Irina und Karapetian zu. Mit unverändert melancholischer Miene beugt sich Sokolow ein wenig über den Tisch und bewegt die Lippen. Leise sagt er etwas zu Jorge Keller.
    »Was ist denn jetzt?«, erkundigt sich Max.
    Tedesco wiegt den Kopf, als wäre bereits alles entschieden.
    »Vermutlich bietet er ihm nitschja an. Ein Remis.«
    Keller starrt auf das Brett. Er scheint nicht zu hören, was der Russe zu ihm sagt, und sein Gesichtsausdruck ist undurchdringlich. Vielleicht überlegt er, ob es noch einen möglichen Zug gibt, denkt Max, vielleicht ist er mit seinen Gedanken aber auch ganz woanders. Bei der Frau, die ihn verraten hat, zum Beispiel, und der Frage nach dem Warum. Schließlich nickt er, drückt dem anderen die Hand, ohne ihn anzusehen, und beide verlassen den Tisch. Mecha Inzunza, in der ersten Reihe, fünf Schritte von ihrem Sohn entfernt, hat sich in den letzten Minuten nicht gerührt.

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