Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
die Differenz nur einen Punkt. Und vier sind noch zu spielen. Damit bieten sich durchaus interessante Möglichkeiten.«
»Und wie soll das vor sich gehen?«
»Wenn wir die geeigneten Fallen stellen und der Russe hineintappt, könnte der Trick ein paar Mal funktionieren. Vermutlich würden sie es zunächst für einen Irrtum, Zerstreutheit oder für in letzter Minute beschlossene Änderungen halten. Beim zweiten oder dritten Mal würden sie Verdacht schöpfen. Wenn es zu leicht zu durchschauen wäre, würden sie anfangen, Irina zu misstrauen, und annehmen, dass sie im Einvernehmen mit Jorge agiert oder von uns manipuliert wird ... Aber es gibt noch eine weitere Möglichkeit: nämlich unser Wissen vorerst für uns zu behalten, Irina zu benutzen, um das Gift zu dosieren, mit ihr im Team nach Dublin zu fahren und uns ihrer dort weiter zu bedienen.«
»Und das ginge?«
»Natürlich. Das ist Schach. Die Kunst der Täuschung, des Mordens und des Krieges.«
Sie überqueren den verkehrsreichen Corso Italia. Motorroller und Autos und Auspuffgase. Max nimmt sie bei der Hand, und als sie auf der anderen Seite auf dem Bürgersteig angekommen sind, bleibt Mecha, vertraulich untergehakt, dicht neben ihm stehen. So betrachten sie sich in der Scheibe eines Schaufensters voller Fernsehapparate. Dann zieht Mecha mit einer sanften, natürlichen Geste ihren Arm zurück.
»Das Wichtigste ist die Weltmeisterschaft«, fährt sie ruhig fort. »Das hier ist nur ein Scharmützel, das semioffizielle Kräftemessen mit einem Anwärter. Es wäre fabelhaft, wenn sich die Russen in Dublin immer noch auf Irina verlassen würden. Stell dir vor, Sokolow findet dort heraus, dass wir seine Spionin bereits in Sorrent entlarvt haben ... Was für ein gewaltiger Schlag das wäre. Tödlich.«
»Wird Jorge die Anspannung aushalten? Dieses Mädchen weitere fünf Monate um sich zu haben?«
»Du kennst meinen Sohn nicht. Seinen kühlen Kopf, wenn es ums Schachspielen geht ... Irina ist jetzt nur noch eine Figur auf dem Brett.«
»Und was werdet ihr anschließend mit ihr machen?«
»Ich weiß es nicht.« Wieder ist dieser harte Klang in ihrer Stimme. »Und es ist mir auch egal. Wenn die Weltmeisterschaft vorbei ist, werden wir bestimmt mit ihr abrechnen. Ob öffentlich oder unter uns, werden wir noch sehen. Aber als internationale Schachspielerin ist Irina gestorben. Sie sollte sich lieber ein Loch graben, in dem sie sich für alle Zeiten verkriechen kann. Ich werde alles daransetzen, die kleine Ratte auszuräuchern, wo immer sie unterschlüpft.«
»Ich frage mich, was sie dazu bewogen haben mag. Und wie lange sie schon für Sokolow arbeitet.«
»Mein Lieber ... Bei Russen und bei Frauen weiß man nie, woran man ist.«
Ein freudloses Auflachen, fast böse.
»Mich interessieren vor allem die Russen«, antwortet er verschmitzt. »Mit denen habe ich weniger Erfahrung als mit Frauen.«
Sie bricht in schallendes Gelächter aus.
»Herrje, Max. Auch wenn du dafür viel zu alt bist und dir keine Pomade mehr ins Haar schmierst, bleibst du doch ein unerträgliches Großmaul ... Ein maquereau aus einer Tangospelunke.«
»Ich wollte, das wäre ich noch.« Auch er lacht jetzt und zupft Doktor Hugentoblers Seidentuch zurecht, das er im offenen Hemdkragen trägt.
»Irina kann von Anfang an eingeschleust gewesen sein, im Sinne einer langfristigen Strategie«, überlegt Mecha, indem sie den Faden wieder aufnimmt. »Oder sie hat sich aus tausend Gründen später anheuern lassen: Geld, Versprechungen ... Ein junges Mädchen wie sie, ein Schachtalent mit der Unterstützung der Russen, die im Schachverband das Heft in der Hand haben, könnte sich auf diese Weise ihre Zukunft sichern. Und sie ist ziemlich ehrgeizig.«
Sie befinden sich vor dem schmiedeeisernen Domtor, das offen steht.
»Es ist bitter, immer nur die Zweite zu sein«, setzt sie hinzu. »Und die Aussicht, dass das ein Ende haben könnte, ist verlockend.«
Im Turm beginnen die Glocken zu läuten. Mecha blickt hinauf, dann geht sie durch das Tor und bedeckt ihr Haar mit dem Tuch. Er folgt ihr, und zusammen betreten sie das menschenleere Kirchenschiff, wo Max’ langsame Schritte auf dem Marmorboden widerhallen.
»Und was wirst du tun?«
»Jorge helfen, wie immer ... Ihm helfen zu spielen. Und zu gewinnen. Hier und in Dublin.«
»Damit wird irgendwann Schluss sein, nehme ich an.«
»Womit?«
»Du kannst ihn ja nicht ewig umsorgen.«
Mecha betrachtet die Deckenmalereien. Im seitlich einfallenden
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