Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Er folgte einem ehrlichen Impuls.
»Mecha ...«
»Komm nicht näher.«
Sie zog die Jacke aus und ließ sie zu Boden fallen. Ein dunkler Fleck zu Max’ Füßen. Der weiße Schal entfernte sich, sehr langsam, wie ein Gespenst zwischen den Schatten der Pinien.
»Ich will, dass du aus meinem Leben verschwindest und aus dem der Menschen, die ich kenne. Sofort.«
Als er sich mit der Jacke in der Hand aufrichtete, hörte erden Motor des Citroën aufheulen, die Scheinwerfer blendeten ihn und warfen seinen Schatten an die Mauer der Brüstung. Dann knirschten die Reifen auf dem Kiesweg, und das Auto fuhr in Richtung Nizza davon.
Den Smokingkragen gegen die morgendliche Kälte hochgestellt, legte er den langen, mühsamen Fußmarsch über die Straße vom Lazareto zum Hafen bis zu seinem Hotel zurück. Am Cassini-Kai fand er zum Glück eine Droschke mit einem dösenden Kutscher auf dem Bock, und während er unter dem Verdeck saß und die Steigung von Rauba-Capeù hinaufrollte, schläfrig vom Schaukeln und dem Trommeln der Pferdehufe auf der Teerstraße, begann sich zwischen den dunklen Flächen von Meer und Himmel ein violetter Spalt zu öffnen. Auch das ist die Geschichte meines Lebens, dachte er, jedenfalls gehört es dazu: im Morgengrauen eine Droschke zu suchen und dabei nach einer Frau oder einer vergeudeten Nacht zu riechen, ohne dass eines das andere ausschlösse. Im Kontrast zu den wenigen Lichtern am Hafen und in den Außenbezirken der Stadt, dehnte sich, als sie den Schlosshügel umrundet hatten, die weite Kurve der hell erleuchteten Promenade des Anglais vor ihm und schien sich bis ins Unendliche zu ziehen. In der Nähe der Ponchettes verspürte er das Bedürfnis, etwas zu essen und eine Zigarette zu rauchen, und so entließ er den Kutscher, durchquerte die Bögen des Cours Saleye und machte sich unter den dunklen Ästen der jungen Platanen, eingehüllt in den Friedhofsduft der Abfälle beim Blumenmarkt, auf die Suche nach einem der Cafés, die dort schon sehr früh öffneten.
Er bezahlte zwölf Francs für ein Päckchen Gauloises, drei für eine Tasse Kaffee und eine Scheibe Brot mit dem Rahm frisch gekochter Milch, setzte sich an ein Fenster zur Straße und rauchte, während draußen die Dunkelheit allmählich verblasste und zwei städtische Straßenkehrer, nachdem sie die Blätter, Stängel und welken Blüten zusammengefegt hatten, einen Schlauch mit langer Kupferdüse anschlossen und den Boden abspritzten. Max dachte über die Vorfälle der letzten Nacht und seine Pläne für die nächsten Tage nach und versuchte, den unvorhersehbaren Störfaktor, den Mecha Inzunza nunmehr darstellte, in ein vernünftiges Verhältnis zu seinen Vorhaben und seinem Leben zu setzen. Um seine Gedanken und Gefühle wieder in den Griff zu bekommen, konzentrierte er sich auf die praktischen Details dessen, was ihn erwartete, auf die möglichen Gefahren und Varianten. Nur so kann ich es schaffen, sagte er sich. Nur auf diese Weise würde er seiner Verwirrung Herr werden und Fehler vermeiden, die ihm zum Verhängnis werden könnten. Er dachte an die italienischen Agenten, an den Mann, der sich Fito Mostaza nannte, und rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her, als führe ihm die Kälte durch das Fenster in den Leib. Es stand zu viel auf dem Spiel, um sich von Mecha Inzunza, seinen Erinnerungen und den Folgen seiner damaligen Entscheidungen die Sicht vernebeln zu lassen. Um wegen der unglücklichen Verquickung der Ereignisse von vor neun Jahren mit denen der letzten Nacht die Ruhe zu verlieren, die er jetzt für so vieles andere unbedingt brauchte.
Fünf Minuten lang erwog er die Möglichkeit, sich aus dem Staub zu machen. Ins Hotel zu gehen, seinen Koffer zu packen und, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, zu anderen Jagdgründen aufzubrechen. Während ihm das alles durch den Kopf ging, ließ er den Blick umherschweifen, als suchte er nach neuen Ideen. Als fahndete er nach alten Gewissheiten, nützlichen Sicherheiten in seinem pittoresken Metier und dem unsteten Auf und Ab seines Lebens. Zwei Werbeplakate für Ferienreisen waren mit Reißzwecken an die Wand geheftet: eines von der französischen Eisenbahngesellschaft und eines mit einem Bild von der Côte d’Azur. Mit halb geschlossenen Augen und einer zwischen den Lippen hängenden Zigarette betrachtete Max sie. Er mochte Zugreisen sehr – viel mehr als Ozeandampfer oder die elitäre, geschlossene Gesellschaft der kommerziellen Flugzeuge –, ihr ewiges Versprechen von
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