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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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dass Sokolow von allein auf diese Lösung gekommen wäre, was uns an Irinas Schuld hätte zweifeln lassen. Aber vermutlich hat Jorge ihn wahnsinnig gemacht.«
    »Ist Jorge andauernd aufgestanden, um ihn zu irritieren?«
    »Na klar.«
    Sie haben die Loggia Sedile Dominova erreicht, wo ein halbes Dutzend Touristen den Erläuterungen eines Reiseleiters zuhört. Sie weichen der Gruppe aus und biegen nach links in die schmale, schattige Via Giuliani ab. Am anderen Ende ragt im harten Gegenlicht der rotweiße Glockenturm des Doms auf, dessen Uhr zwanzig nach elf zeigt.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass Weltmeistern diese Art von Fehlern unterläuft«, wundert sich Max. »Ich hielt sie für weniger ...«
    »Menschlich?«
    »Ja.«
    »Jeder macht Fehler«, erwidert sie. Und ergänzt nach einigen Schritten nachdenklich: »Mein Sohn fuchst ihn gewaltig.« Die Anspannung im Hinblick auf die Weltmeisterschaft sei enorm, erklärt sie Max. Jorges Umhertigern während der Partie, seine ganze Art zu spielen, als kostete es ihn überhaupt keine Anstrengung, sein scheinbar unbekümmertes Auftreten ... Der Russe sei das völlige Gegenteil: gewissenhaft, methodisch, streng. Einer, der Blut und Wasser schwitze. Und gestern Nachmittag habe der Weltmeister, trotz seiner stoischen Ruhe und trotz der Rückendeckung durch seinen Titel, seine Regierung und den Internationalen Schachverband, dem Drang nicht widerstehen können, seinem Herausforderer, diesem verwöhnten Spross des Kapitalismus, und der westlichen Presse, eine Lektion zu erteilen. Ihn zurechtzustutzen. Er habe den Bauern just in dem Augenblick gezogen, als Jorge wieder aufstehen wollte. Hiergeblieben, habe er ihm mit dieser Geste bedeutet. Setz dich gefälligst und denk nach.
    »Sie sind eben fehlbar«, sagt sie wie zu sich selbst. »Sie lieben und hassen wie alle anderen auch.«
    Max und sie gehen im Gleichschritt. Gelegentlich berühren sich ihre Schultern.
    »Oder vielleicht auch nicht.« Mecha neigt den Kopf, als habe sie einen Fehler in ihrer eigenen Argumentation entdeckt. »Vielleicht doch nicht wie alle anderen.«
    »Und was ist mit Irina? Benimmt sie sich normal?«
    »Mit absoluter Unverfrorenheit.« Sie lacht hämisch, ihr Ton wird plötzlich hart. »Seelenruhig in ihrer Rolle der treuen Mitarbeiterin und Jungverliebten. Wüsste ich nicht, waswir wissen, wäre ich von ihrer Unschuld überzeugt. Du ahnst nicht, zu welchen schauspielerischen Höchstleistungen eine Frau fähig ist, wenn etwas Wichtiges für sie auf dem Spiel steht!«
    Max ahnt das sehr wohl, sagt aber nichts. Er verzieht nur stumm das Gesicht in Erinnerung an Frauen, die von einem Hotelzimmer aus mit ihren Ehemännern oder Liebhabern telefonierten, nackt auf oder unter der Bettdecke, ins selbe Kissen geschmiegt wie er, der ihnen ungläubig zuhörte. In aller Seelenruhe und mit völlig natürlicher Stimme, während sie ihrer heimlichen Liebschaft frönten, die Tage, Monate oder Jahre dauern konnte. Ein Mann hätte sich unter denselben Umständen schon mit den ersten Worten verraten.
    »Ich frage mich, ob man einen solchen Betrug nicht anzeigen kann«, sagt Max.
    »Bei wem?« Sie lacht skeptisch. »Bei der italienischen Polizei? Beim Internationalen Schachverband? Das ist eine Privatangelegenheit. Mit stichhaltigen Beweisen könnten wir Krawall schlagen und vielleicht die Annulierung des Duells erreichen, falls Jorge verliert. Aber auch mit Beweisen wäre nichts gewonnen. Wir würden lediglich fünf Monate vor der Weltmeisterschaft die Atmosphäre vergiften. Und Sokolow säße weiter auf seinem Thron.«
    »Und was ist mit Karapetian? Weiß er das mit Irina?«
    Jorge habe gestern Abend mit seinem Mentor gesprochen, nickt Mecha. Der habe sich nicht sehr überrascht gezeigt und nur gesagt, so etwas komme vor. Andererseits sei es auch nicht der erste Fall von Spionage, den er erlebte. Der Armenier sei ein besonnener Mann. Pragmatiker. Und er halte nichts davon, das Mädchen sofort an die Luft zu setzen.
    »Er meint, und mein Sohn teilt diese Ansicht, dass es besser sei, wenn die Russen und Irina einander weiterhin vertrauten. Dass man sie mit falschen Informationen füttern,Vorbereitungen für bestimmte Eröffnungen vortäuschen sollte ... Sie als Doppelagentin benutzen, ohne dass sie es merkt.«
    »Aber das muss doch irgendwann auffallen«, wendet Max ein.
    »Der Schwindel kann ein paar Partien so weitergehen. Sechs haben wir hinter uns: zwei Siege für Sokolow, einer für Jorge und drei Remis, somit beträgt

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