Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
zusammen mit einem Saphir an der linkenHand trug. Sie sprachen nicht miteinander, als er ihr gegenüber Platz nahm, abgesehen von einem höflichen Bonsoir . Und sie aßen dann auch schweigend, tauschten lediglich das eine oder andere nichtssagende Lächeln, wenn sich ihre Blicke kreuzten oder der Kellner ihnen Wein nachschenkte. Sie war reizvoll, musste er feststellen: große Augen, fein nachgezogene Brauen und die perfekte Dosis blutroten Lippenstifts. Als sie mit dem Filet de bœuf forestière fertig war, lehnte sie den Nachtisch ab und holte stattdessen ein Päckchen Gitanes hervor. Max beugte sich über den Tisch und gab ihr Feuer. Der verbogene Deckel des Feuerzeugs klemmte, das ebnete den Weg für eine oberflächliche, freundliche Konversation: Nizza, der Regen, die Wintersaison, der Zustrom durch die subventionierten spanischen Urlauber, die Weltausstellung in Paris, die bald zu Ende sein würde. Nachdem das Eis gebrochen war, gingen sie zu anderen Themen über. Tatsächlich war der Mann, der sie auf dem Bahnsteig verabschiedet hatte, ihr Gatte. Sie lebten fast das ganze Jahr über in Cap Ferrat, doch musste sie aus beruflichen Gründen eine Woche im Monat in Paris verbringen, sie war Moderedakteurin bei der Zeitschrift Marie Claire . Fünf Minuten später lachte die Frau bereits über Max’ Schlagfertigkeit und schaute ihm auf den Mund, wenn er sprach. Haben Sie schon einmal daran gedacht, als Mannequin für Männermode zu arbeiten?, fragte sie ihn nach einer Weile. Schließlich warf sie einen Blick auf ihre winzige Armbanduhr, bemerkte, es sei ja schon so spät, verabschiedete sich mit einem strahlenden Lächeln und verließ den Speisewagen. Erfreulicherweise lagen ihre Abteile unmittelbar nebeneinander: Nummer 4 und 5. Wie es sich im Leben und in Zügen eben manchmal so ergibt.
Max lief durch den Salonwagen, der zu dieser Tageszeit so belebt war wie das Ritz, überquerte die laute Plattform zwischen den Waggons und blieb am Dienstabteil des Wagenschaffners stehen. Der ging gerade die Liste der zehnAbteile durch, für die er zuständig war, wobei die goldenen Löwen auf der Brusttasche seiner Uniform im Schein der kleinen Lampe glänzten. Der Schaffner war ein glatzköpfiges, schnauzbärtiges, liebenswürdiges Männlein mit einer Narbe auf dem Schädel, die, wie Max auf seine interessierte Nachfrage erfuhr, von einem Kugelsplitter herrührte, den der Mann bei der Schlacht an der Somme abbekommen hatte. Sie plauderten eine Weile über Kriegsverletzungen, dann über Schlafwagen, Pullmanzüge und internationale Bahnlinien. Im rechten Moment holte Max das Zigarettenetui hervor, bot dem Schaffner eine Zigarette an, der eine Streichholzschachtel mit dem Emblem der Schlafwagengesellschaft zückte und Feuer gab, und als sie ihre Zigaretten zu Ende geraucht hatten, waren sie so vertraut miteinander, dass ein vorbeikommender Passagier sie für die besten Freunde gehalten hätte. Fünf Minuten später sah Max auf die Uhr und bat den Schaffner – in einem Ton, der dem anderen das Gefühl geben musste, dass Max im umgekehrten Fall jederzeit das Gleiche für ihn tun würde –, ihm die Verbindungstür zwischen den Abteilen 4 und 5 aufzuschließen.
»Das geht nicht«, sagte darauf der Bahnbedienstete unsicher. »Das ist gegen die Vorschriften.«
»Ich weiß, mein Freund. Aber ich weiß auch, dass Sie es für mich tun werden.«
Diese Aussage wurde von einer diskreten Geste begleitet, mit der Max ihm zwei Hundert-Francs-Scheine zusteckte, wie er es beim Einsteigen in Nizza auch schon getan hatte. Der Schaffner zauderte einen Moment, obwohl ihm anzusehen war, dass er damit vor allem die ehrenwerten Formen der Compagnie Internationale de Wagons-Lits zu wahren versuchte, und setzte dann mit weltmännischer Gebärde sein Käppi auf.
»Frühstück um sieben, der Herr?«, fragte er in vollkommen natürlichem Ton, während sie den Gang entlangliefen.
»Ja. Das wäre eine angenehme Zeit.«
Es folgte eine kaum merkliche Pause.
»Für eine Person oder für zwei?«
»Für eine, wenn Sie so nett wären.«
Als er das hörte, warf der Schaffner, der vor der fraglichen Abteiltür stehengeblieben war, Max einen dankbaren Blick zu. Wie gut – las Max in diesem Blick –, dass es noch Kavaliere gibt, die die Regeln des Anstands zu respektieren wissen.
»Selbstverständlich, der Herr.«
In dieser Nacht und in den folgenden Nächten schlief Max wenig. Die Frau hieß Marie-Chantal Héliard; sie war aufgeschlossen, heißblütig und
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