Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
nicht etwa dabei belassen«, entgegnete sie seelenruhig.
Schon war Max im Begriff zu sagen, es reicht jetzt, ich werde um die Rechnung bitten, und dann verschwinden wir von hier, als er Armando de Troeye seiner Gattin einen Blick zuwerfen sah und in seinen Augen einen Ausdruck wahrnahm, der ihm neu war. Ein spöttisches, herausforderndes Funkeln. Nur ganz kurz, und schon hatte sich die Maske vergnügten Gleichmuts wieder über seine Züge gelegt. Daänderte Max seinen Entschluss und wandte sich betont langsam Mecha Inzunza zu.
»Gern«, sagte er.
Die hellen Augen, wie aufgelöst durch den Gin, hielten seinen Blick fest. Im Licht der Glühbirnen wirkten sie flüssiger als sonst. Dann tat sie etwas Merkwürdiges: Sie behielt das Tuch und nahm einen der Handschuhe, die sie auf dem Tisch abgelegt hatte, als sie zum Tanzen aufstand, steckte ihn Max in die Brusttasche und zupfte ihn mit flinken Fingern zurecht, bis er die Form einer zarten weißen Blume hatte. Schließlich schob der Eintänzer seinen Stuhl zurück, erhob sich und schritt auf den Tisch zu, an dem der compadrón und die beiden Frauen saßen.
»Wenn Sie gestatten«, sagte er zu dem Mann.
Der andere beäugte ihn mit einer Mischung aus Herablassung und Neugierde, doch Max beachtete ihn nicht weiter und wandte sich der blonden Frau zu. Diese drehte sich kurz zu ihrer Gefährtin um – einer etwas älteren, ordinären Brünetten – und schaute dann Zustimmung heischend den compadrón an. Der starrte noch immer den Salontänzer an, der aufrecht und mit einem höflichen Lächeln dastand und wartete; so zurückhaltend und korrekt wie vor einer Dame der gehobenen Gesellschaft bei einem Tanztee im Palace oder im Plaza. Endlich stand die Frau auf und umschlang Max mit routinierter Unbefangenheit. Von nahem sah sie jünger aus, trotz der Müdigkeit in ihren Augen, über die auch die dicke Schminke nicht hinwegtäuschte. Die etwas schrägstehenden blauen Augen und das blonde, im Nacken gebundene Haar betonten ihr slawisches Aussehen. Vermutlich Russin oder Polin, überlegte Max. Als er den Arm um sie legte, empfand er die Nähe ihres Körpers als sehr intim: die Wärme der matten Glieder, den Tabakgeruch in ihrem Kleid und ihrem Haar, den letzten Schluck Grappa mit Limonade in ihrem Atem, und auf der Haut ein billiges Kölnischwasser,Agua Florida, vermischt mit Talkumpuder und dem zarten Schweiß eines Mädchens, das seit Stunden mit allen möglichen Männern tanzte.
Es ertönten die ersten Takte eines Tangos, in denen er, trotz der Schludrigkeit des Orchesters, die Melodie von Felicia erkannte. Auch andere Paare kamen auf die Tanzfläche. Max und die blonde Frau begannen einmütig, er ließ sich ganz von seinem Instinkt und seiner Erfahrung leiten. Eine große Tänzerin war sie nicht, das merkte er gleich, doch sie bewegte sich locker, den Blick mürrisch in die Ferne gerichtet, außer wenn sie ihn kurz ansah, um auf die nächste Schrittkombination oder Figur vorbereitet zu sein. Sie presste sich ungeniert an ihn, und er konnte die Spitzen ihrer Brüste unter der leichten, tief ausgeschnittenen Baumwollbluse spüren, in verwegenen Posen umkreisten ihre Beine und Hüften seinen Unterleib. Gefügig und ohne Leidenschaft, befand der Eintänzer. Ein trauriger, tüchtiger Roboter, willenlos und ohne eigenen Antrieb; so, wie sich eine Hure sexuell hingibt, ohne selbst die geringste Lust zu empfinden. Einen Moment lang stellte er sich die Frau vor, ebenso passiv und ergeben im Zimmer eines schäbigen Hotels wie dem unten an der Straße mit dem erloschenen Buchstaben in der Leuchtschrift, während der Gauner mit dem Schnauzbart den Erlös von zehn Pesos in die Jackentasche steckte. Wie sie das Kleid auszog und sich auf das quietschende Bett mit den schmuddeligen Laken legte. Willfährig, ohne auf eigenes Vergnügen bedacht zu sein. Mit derselben verdrossenen Miene, mit der sie jetzt diese Tangoschritte ausführte.
Aus irgendeinem Grund, den zu durchdringen nicht der richtige Zeitpunkt war, erregte ihn die Vorstellung. Was sonst war der Tango, auf diese Weise getanzt, wenn nicht die Unterwerfung der Frau, sagte er sich, erstaunt, dass ihm dieser Gedanke, trotz all der Tänze, all der Tangos, all der Umarmungen, nicht schon früher gekommen war. Was wardiese traditionelle Art zu tanzen, ungeachtet der Salons und ihrer Etikette, anderes als rückhaltlose Hingabe. Ein einvernehmliches Entfachen alter Instinkte, ein Ritual brennender Leidenschaften, Verheißungen aus Fleisch
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