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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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und Blut für die Dauer eines flüchtigen Moments der Musik und der Umgarnung. Der Tango de la Guardia Vieja . Wenn es eine Tanzform gab, die für gewisse Frauen wie gemacht war, dann diese. In Max flammte ein jähes Verlangen nach dem Körper auf, der sich da in seinen Armen bewegte. Sie musste es bemerkt haben, denn ihre blauen Augen sahen ihn forschend an, ehe ihre Miene wieder in Gleichgültigkeit erschlaffte und ihr Blick sich abermals geistesabwesend in der Ferne verlor. Max rächte sich mit einem corte , blieb fest auf einem Bein stehen, während er mit dem anderen abwechselnd einen Schritt nach vorn und einen Schritt nach hinten andeutete, zugleich den Druck seiner Rechten auf ihrem Rücken verstärkte, erneut ihren Oberkörper an sich zog und sie nötigte, mit der Innenseite ihrer Schenkel außen und innen an seinem Standbein entlang zu streichen, bis seine Dominanz wieder hergestellt war. Bis er deutlich den stummen Seufzer spürte, mit dem die Frau einsehen musste, dass es kein Entrinnen gab.
    Nach dieser Figur, einer beiderseits beabsichtigten Schamlosigkeit, warf der Eintänzer zum ersten Mal einen Blick zu dem Tisch, an dem das Ehepaar de Troeye saß. Sie rauchte eine Zigarette aus ihrem Elfenbeinmundstück und sah ihnen gleichgültig zu. Und in diesem Moment begriff Max, dass die Tänzerin in seinen Armen nur eine Ausflucht war. Eine schmierige Zwischenlösung.

4 DAMENHANDSCHUHE
    Das Unvermeidliche, von Max Costa mit Bedacht angebahnt und mit Zuversicht erwartet, tritt schließlich ein. Er hat sich zum Frühstücken auf die Terrasse des Hotels Vittoria gesetzt, in die Nähe der gen Vesuv blickenden nackten Steinfrau, mit Aussicht auf das blaugraue Leuchten der Bucht. Genüsslich beißt der Chauffeur von Doktor Hugentobler in einen gebutterten Toast, beglückt über die Umstände, die ihn für eine Weile in die glanzvolleren Tage seines Lebens zurückgeführt haben; als alles noch möglich war, die Welt noch zu entdecken, und jede Morgendämmerung der Auftakt zu einem Abenteuer: Hotelbademäntel, der Duft guten Kaffees, Frühstück von feinem Porzellan mit Blick auf schöne Landschaften oder Frauengesichter, die – Landschaften und Frauen – nur mit viel Geld oder viel Talent zu erobern waren. Jetzt, da er wieder in seinem Element ist, hat er mühelos zu seinem früheren Auftreten zurückgefunden. Er trägt eine dunkle Persol-Brille, die Doktor Hugentobler gehört, wie auch der blaue Blazer und der Seidenschal im offenen Kragen des lachsfarbenen Hemdes. Er stellt die Kaffeetasse ab und will soeben die Sonnenbrille gegen seine Lesebrille tauschen, streckt schon die Hand nach der neapolitanischen Tageszeitung Il Mattino aus, die gefaltet auf der weißen Leinentischdecke liegt – und einen Bericht über die am Vortag ausgetragene Partie Sokolow–Keller enthält, die mit einem Remis endete –, als ein Schatten auf das Blatt fällt.
    »Max?«
    Jeder unbeteiligte Zuschauer hätte seine Kaltblütigkeit bewundert: Er sieht noch sekundenlang in die Zeitung, ehe er aufblickt, erst einen unentschlossenen, dann einen überraschten Eindruck macht und schließlich strahlt. Er nimmt die Brille ab, tupft sich mit der Serviette über die Lippen und steht auf.
    »Mein Gott ... Max!«
    In der Morgensonne schimmern Mecha Inzunzas Augen so golden wie früher. Um Lider und Mund hat sie eine Unzahl winziger Runzeln, die ein verblüfftes Lächeln jetzt vertieft. Doch alles Übrige hat der unbarmherzige Lauf der Zeit unversehrt gelassen: den gemessenen Gang, die anmutigen Gesten, die Proportionen von Hals und Armen, die, altersbedingt erschlafft, noch schmaler wirken.
    »Wie lange das her ist ...«, sagt sie. »Mein Gott.«
    Sie halten sich an den Händen und sehen einander an. Max hebt ihre Rechte, neigt den Kopf darüber und streift sie mit den Lippen.
    »Exakt neunundzwanzig Jahre«, antwortet er, »seit dem Herbst neunzehnhundertsiebenunddreißig.«
    »Nizza ...«
    »Ja. Nizza.«
    Er zieht ihr einen Stuhl heran, und sie nimmt Platz. Max winkt dem Keller und bestellt einen weiteren Kaffee. Während dieser protokollarischen Auszeit spürt er den Blick ihrer honigfarbenen Augen fest auf sich gerichtet. Und die Stimme ist dieselbe: ruhig, kultiviert. Genau wie er sie in Erinnerung hat.
    »Du hast dich verändert, Max.«
    Er hebt die Brauen und macht eine melancholische Handbewegung: die leicht erschöpfte, nachlässige Gebärde des Mannes von Welt.
    »Sehr?«
    »Genug, dass ich dich nicht auf Anhieb wiedererkannt

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