Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
zwischen den de Troeyes, dem er nicht folgen konnte; unausgesprochene Selbstverständlichkeiten und Anspielungen, die er nicht begriff. Beunruhigend war, dass es anscheinend auch mit ihm zu tun hatte. Er fragte sich, worum es gehen könnte. Und wie weit.
»Auf dem Schiff habe ich Ihnen doch erzählt«, erklärte er, »dass der Tango ursprünglich von Schwarzen getanzt wurde. Sie tanzten getrennt, verstehen Sie? Wenn sich das Paar dabei in den Armen hält, ist es etwas ganz anderes, selbst in der bravsten Form. Dem Tango als Gesellschaftstanz wurden alle diese Bewegungen weggeschliffen, um ihn salonfähig zu machen. Doch wie Sie sehen, ist Salonfähigkeit hier nicht so gefragt.«
»Seltsam«, meinte de Troeye, der ihm aufmerksam zugehört hatte. »Das ist der echte Tango? Die ursprüngliche Musik?«
Das Ursprüngliche sei nicht die Musik, versetzte Max, sondern die Art zu spielen. Diese Leute könnten nicht einmal Noten lesen. Sie spielten, wie sie es gewohnt seien, auf die alte Art, schnell. Während er sprach, wies er auf das kleine Orchester: drei ausgemergelte, stark ergraute Männer mitnikotingelben Schnauzbärten. Der jüngste war der am Bandoneon, und der hatte seinen Fünfzigsten schon hinter sich. Seine Zähne waren so schartig und vergilbt wie die Tasten seines Instruments. In diesem Moment verständigte er sich mit seinen Kollegen über das nächste Stück. Der Geiger nickte, trat ein paarmal mit dem Fuß auf den Boden, um das Tempo vorzugeben, das Klavier hämmerte los, der Balg schluchzte auf, und sie begannen mit El esquinazo . Die Tanzfläche füllte sich augenblicklich.
»Da haben Sie sie«, schmunzelte Max. »Die Jungs von früher.«
In Wahrheit schmunzelte er über sich selbst, über die eigenen Erinnerungen. An früher, als man diese Musik bei Volksfesten oder sonntagmorgens auf den Tanzveranstaltungen hörte, in den Sommernächten, wenn er mit den anderen Kindern auf der Straße spielte, damals noch im Licht der Gaslaternen. Von weitem sahen sie den tanzenden Paaren zu, schlichen sich hämisch an die heran, die in dunklen Hauseingängen schmusten, schrien: »Lass den Knochen los, du Hund!« und rannten dann unter Gelächter davon. Und Tag für Tag hörten sie diese bekannten und beliebten Melodien, weil die Männer sie sangen, wenn sie aus der Fabrik nach Hause kamen, und die Frauen, wenn sie sich um die schäumenden Waschtröge der conventillos versammelten. Dieselben Weisen, die die Ganoven mit den tief heruntergezogenen Schlapphüten pfiffen, wenn sie sich paarweise einem unachtsamen Nachtschwärmer näherten und das Messer in der Dunkelheit aufblitzte.
»Ich würde mich gern mal mit den Musikern unterhalten«, sagte de Troeye. »Meinen Sie, das wäre möglich?»
»Warum nicht. Wenn sie fertig sind, spendieren Sie ihnen eine Runde. Oder, noch besser, geben Sie ihnen etwas Geld ... Allerdings rate ich Ihnen, nicht zu viele Scheine sehen zu lassen. Man hat uns ohnehin schon im Visier.«
Es wurde weiter getanzt. Die Blonde mit den slawischen Zügen war wieder auf der Tanzfläche, diesmal mit dem Mann, bei dem sie am Tisch gesessen hatte. Herrisch, stumm, in die Weiten des verrauchten Raumes schauend, führte er sie im Takt der Musik, dirigierte sie mit winzigen Gesten, einem leichten Druck seiner Hand auf ihrem Rücken, manchmal nur mit einem Blick; unterbrach sie brüsk mit einem scheinbar unerwarteten corte , sah ihr mit ausdrucksloser Miene starr ins Gesicht, wenn sie sich, stolz und verführerisch zugleich, hin und her wand, sich plötzlich an seinen Körper presste, als wollte sie seine Begierde wecken, oder sich mit geschmeidigen Schritten und wiegenden Hüften von einer Seite zur anderen bewegte, in gehorsamer Unterwerfung, als akzeptierte sie mit absoluter Selbstverständlichkeit das intime Ritual des Tangos.
»Wenn das Bandoneon den Rhythmus nicht bremsen würde«, erklärte Max, »wäre er noch viel schneller. Noch zerrissener. Sie müssen bedenken, dass die alte Garde ursprünglich kein Balginstrument und kein Klavier benutzte, sondern Flöte und Gitarre.«
Armando de Troeye notierte das sofort auf seiner Manschette. Mecha Inzunza schwieg; sie ließ die blonde Tänzerin und ihren Partner nicht aus den Augen. Einige Male kreuzte sich sein Blick im Vorbeitanzen mit dem ihren. Er war ein wettergegerbter Kerl, schätzungsweise in den Vierzigern: schräg sitzender Hut, bedrohliche Ausstrahlung, Spanier oder Italiener. De Troeye nickte versonnen und glücklich vor sich hin. Er wirkte
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