Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Lächeln. »Eine Trennung zwischen vernünftigen Menschen, im Guten. Jorge zuliebe.«
»Ist er der Vater?«
»Natürlich.«
»Du hast sicher ein beschauliches Leben geführt all die Jahre. Deine Familie hatte Geld, ganz zu schweigen von deinem ersten Mann.«
Sie nickt gleichmütig. Probleme dieser Art habe sie nie gehabt, erwidert sie. Und nach dem Krieg schon gar nicht. Als die Deutschen Frankreich überfielen, sei sie nach England gegangen. Dort habe sie Ernesto Keller geheiratet, einen Diplomaten. Max habe ihn doch damals in Nizza kurz kennengelernt. Sie hätten in London, Lissabon und Santigo de Chile gelebt. Bis sie sich trennten.
»Erstaunlich.«
»Was findest du erstaunlich?«
»Dein ungewöhnliches Leben. Das mit deinem Sohn.«
Ganz kurz bemerkt Max einen sonderbaren Ausdruck in ihren Augen. Eine Starre, bohrend und ruhig zugleich.
»Und du, Max? Wie ungewöhnlich war dein Leben?«
»Na ja, du weißt schon ...«
»Nein. Nichts weiß ich.«
Mit einer wedelnden Handbewegung deutet er auf die ganze Terrasse, als läge dort irgendwo die Antwort auf ihre Frage.
»Ich bin viel herumgekommen. Geschäftlich ... Der Krieg in Europa hat mir einige Chancen gewährt und andere genommen. Ich kann nicht klagen.«
»Danach siehst du auch nicht aus. Als ob du Grund zum Klagen hättest. Warst du noch mal in Buenos Aires?«
Als sie diesen Ort nennt, durchfährt es Max. Zögernd, vorsichtig, als bewegte er sich auf unbekanntem Terrain, studiert er wieder verstohlen ihr Gesicht: die Fältchen um den Mund, die fahle, welke Haut und die ungeschminkten Lippen. Nur ihre Augen sind noch genauso wie in der Tangospelunke in Barracas und an all den Orten danach. In der einzigartigen gemeinsamen Topografie seiner Erinnerung.
»Die meiste Zeit habe ich in Italien gelebt«, schwindelt er aufs Geratewohl. »Aber auch in Frankreich und Spanien.«
»Wegen deiner Geschäfte?«
»Aber anderen als früher.« Max ringt sich das entsprechende Lächeln ab. »Ich hatte Glück, habe es zu etwas Geld gebracht, und es ist mir nicht schlecht ergangen. Jetzt bin ich im Ruhestand.«
Mecha Inzunza sieht ihn nicht mehr so an wie eben. Ein bekümmertes Lächeln umspielt ihre Lippen.
»Ganz und gar?«
Unbehaglich rutscht er auf seinem Stuhl hin und her. Er denkt an die Perlenkette, die er gestern im Zimmer Nummer 429 in der Hand gehabt hat, den seidigen, matten Glanz der Vergeltung. Und ich frage mich, denkt er, wer von uns beiden dem anderen mehr schuldig ist, sie mir oder ich ihr.
»Mein Leben ist nicht mehr wie früher, wenn du das meinst.«
Die Frau betrachtet ihn ausdruckslos.
»Das habe ich gemeint. Ja.«
»Dazu besteht schon lange keine Notwendigkeit mehr.«
Er sagt es, ohne mit der Wimper zu zucken. Absolut souverän. Im Grunde, denkt er, ist es ja nicht wirklich gelogen. Sie jedenfalls scheint seine Glaubwürdigkeit nicht in Frage zu stellen.
»Dein Haus in Amalfi ...«
»Zum Beispiel.«
»Ich freue mich, dass du es geschafft hast.« Sie betrachtet den Aschenbecher, als sähe sie ihn zum ersten Mal. »Ich hätte nie gedacht, dass du einmal ein normales Leben führen würdest.«
»Nun ja ...« Er lässt die Hand kreisen, die Finger nach oben, eine sehr italienisch anmutende Geste. »Irgendwann kommen wir alle zur Vernunft ... Was dich angeht, hatte ich auch meine Zweifel.«
Mecha Inzunza drückt die Zigarette im Aschenbecher aus, nachdem sie zuerst sorgsam die Glut abgestreift hat. Als hinge sie Max’ letzter Bemerkung nach.
»Du meinst, nach Buenos Aires und Nizza?«, fragt sie schließlich.
»Zum Beispiel.«
Unwillkürlich verspürt er einen Anflug von Wehmut, und mit einem Mal überschlagen sich seine Erinnerungen: kleine Worte wie Seufzer, die über nackte Haut glitten, lange, weich geschwungene Linien, perspektivisch verkürzt durch einen Spiegel, der das Grau draußen zu vertiefen schien, im bleiernen Licht eines Fensters, in dessen Rahmen nasse Palmen, Meer und Regen zu sehen waren, wie auf einem französischen Gemälde vom Anfang des Jahrhunderts.
»Was machst du beruflich?«
Es dauert eine Weile – diesmal ist es nicht gespielt –, bis ihn die Frage aus seiner Versunkenheit holt und in sein Bewusstsein vordringt. Noch rebelliert er innerlich gegen die maßlose Ungerechtigkeit, der ein Körper ausgeliefert ist: die Haut, die seinen fünf Sinnen noch immer gegenwärtig ist, war straff, warm und makellos. Es kann einfach nicht dieselbe sein, die er hier vor sich sieht. Nie und nimmer, denkt er mit
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