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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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Milchglastür zu einem angrenzenden Raum öffnet sich, und die Russen erscheinen: zwei Assistenten als Vorhut und dann der Weltmeister selbst, mit einem Gefolge von zwölf Personen. Im Hintergrund sieht man ein Schachbrett, auf dem Figuren liegen. Offenkundig haben sie dort ebenfalls gerade die Partie analysiert, allerdings hinter verschlossener Tür, nur in Anwesenheit einiger ausgesuchter sowjetischer Reporter, die sich jetzt auf den Weg ins Pressebüro machen. Sokolow, eine qualmende Zigarette zwischen den Fingern, geht dicht an Max vorbei. Mit seinen feuchten hellblauen Augen blickt er die Mutter seines Herausforderers an und nickt ihr kurz zu.
    »Die Russen haben den Vorteil, von ihrem Verband subventioniert und vom Staatsapparat unterstützt zu werden«, erläutert Mecha. »Siehst du den kleinen Dicken in der grauen Jacke? Das ist der Kultur- und Sportattaché der Botschaft in Rom ... Einer von denen dort ist der Großmeister Kolishkin, der Vorsitzende des sowjetischen Schachverbandes. Der kräftige Blonde heißt Rostow; er wäre einmal beinahe selbst Weltmeister geworden und ist jetzt einer von Sokolows Sekundanten ... Und du kannst sicher sein, dass unter ihnen mindestens zwei KGB-Agenten sind.«
    Sie schauen den Russen nach, die sich über den Flur in Richtung der Empfangshalle entfernen, auf dem Weg zu dem Appartementhaus am Hotelgarten, in dem sich die sowjetische Delegation für die Dauer des Turniers niedergelassen hat.
    »Im Westen dagegen«, spricht Mecha weiter, »müssen die Spieler gewinnen, um Geld zu verdienen, oder einer anderen Arbeit nachgehen, um damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten ... Jorge hat Glück gehabt.«
    »Ohne Zweifel. Er hatte dich.«
    »Nun ja, das sagt sich so leicht.«
    Noch immer blickt sie den Flur entlang, während sie zu überlegen scheint, ob sie noch etwas hinzufügen sollte. Schließlich wendet sie sich Max zu und lächelt mit abwesendem Blick.
    »Was ist?«, fragt er.
    »Nichts. Das Übliche in solchen Situationen.«
    »Du machst dir Gedanken.«
    Sie zögert. Dann hebt sie ihre schlanken Hände mit den Altersflecken zu einer unentschlossenen Geste.
    »Eben im Rauskommen hat Jorge gesagt: ›Hier stimmt was nicht‹. Und mir hat der Ton nicht gefallen, in dem er es gesagt hat ... Und wie er mich dabei angesehen hat.«
    »Also, wie gesagt, auf mich wirkt dein Sohn ganz und gar nicht beunruhigt.«
    »Das ist seine Art. Und auch das Bild, das er anderen gern von sich vermitteln möchte. Nett und umgänglich. Unbekümmert, als würde ihn das alles keinerlei Anstrengung kosten. Aber du ahnst nicht, wie viele Stunden Mühe, Analyse und Arbeit dahinterstecken. Und diese zermürbende Anspannung.«
    Ihr Gesicht wirkt müde, als wäre auch sie von der Anspannung erschöpft.
    »Komm, lass uns an die frische Luft gehen.«
    Sie treten hinaus auf die Terrasse, wo fast alle Tische besetzt sind. Jenseits der Balustrade, über der eine Laterne leuchtet, ist der Golf von Neapel ein Halbkreis aus Dunkelheit und in der Ferne flimmernden Lichtern. Max nickt dem Maître zu, und dieser führt sie zu einem Tisch. Danach bestellt er bei dem diensteifrigen Kellner, der den Maître abgelöst hat, zwei Champagner-Cocktails.
    »Was ist da heute passiert? Warum wurde die Partie abgebrochen?«
    »Weil die Zeit um war. Jeder Spieler verfügt über zweieinhalb Stunden Bedenkzeit für vierzig Züge. Sobald also fünf Stunden gespielt worden ist, wird die Partie vertagt, das nennt sich dann Hängepartie.«
    Max beugt sich über den Tisch, um ihr Feuer für die Zigarette zu geben, die sie sich zwischen die Lippen gesteckt hat. Dann schlägt er die Beine übereinander, wobei er darauf achtet, die Bügelfalte nicht zu zerdrücken, eine Gewohnheit aus alten Zeiten, als Eleganz noch ein Arbeitswerkzeug war.
    »Ich habe auch das mit dem Umschlag nicht verstanden.«
    »Bevor er gegangen ist, hat Sokolow die Stellung auf dem Brett notiert, morgen wird sie genauso rekonstruiert. Jorge ist jetzt am Zug. Und nachdem er sich entschieden hatte, hat er das aufgeschrieben und dem Schiedsrichter anvertraut. Morgen wird der Schiedsrichter den Umschlag öffnen, Jorges Zug ausführen, die Uhr in Gang setzen, und das Spiel geht weiter.«
    »Und dann ist der Russe wieder am Zug?«
    »Richtig.«
    »Da wird er sich heute Nacht wohl den Kopf zerbrechen.«
    Alle würden sich darüber den Kopf zerbrechen, erwidert Mecha. Bei einer vertagten Partie stelle der geheime Zug für beide Spieler eine große Herausforderung dar: Der

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