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Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Dreimal im Leben: Roman (German Edition)

Titel: Dreimal im Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arturo Pérez-Reverte
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Jasenovic und dem dicken Mann, dem Großmeister Karapetian, gesessen hat, wie sie aufsteht und ihrem Sohn folgt, begleitet von den beiden anderen.
    Max tritt hinaus auf den Korridor, der sich in eine lärmende Vorhalle des Turniersaals verwandelt hat, schlendert zwischen den Zuschauern umher und lauscht den Kommentaren zu der Partie, der fünften des Premio Campanella. Das Pressebüro befindet sich in einem kleinen angrenzenden Raum, und als er an der Tür vorbeikommt, hört er, wie ein italienischer Radioreporter telefonisch seinen Bericht übermittelt:
    »Kellers schwarzer Läufer war wie ein Kamikaze ... Das Aufsehenerregendste war nicht das Opfer eines Springers, sondern das verwegene Vorpreschen des Läufers durch eine Stellung voller Gefahren ... Der Hieb war tödlich, doch Sokolow besitzt Nerven wie Drahtseile. Als hätte er den Angriff erwartet, blockierte ihn Die Russische Mauer mit einer einzigen Bewegung und sagte sofort Nitschja? , schlug also ein Remis vor ... Der Chilene lehnte ab, und somit ist die Partie auf morgen vertagt.«
    In einem kleineren Salon, zu dem das Publikum keinen Zutritt hat, vor dessen Tür sich jedoch neugierige Fans drängen, sieht Max, wie Keller mit Karapetian, der jungen Jasenovic, dem Schiedsrichter und einigen anderen vor einem Schachbrett sitzt und die Partie analysiert. Max staunt, wie schnell Keller, der im Turniersaal sehr langsam wirkt, jetzt mit Karapetian und dem Mädchen die Figuren setzt, sie fast aufschlägt, Züge ausführt und wieder rückgängig macht und neue Varianten ausprobiert.
    »Analyse post mortem, nennt man das«, hört er Mecha sagen. Er dreht sich um, und da steht sie neben ihm.
    »Klingt finster.«
    Gedankenverloren blickt sie in den kleinen Salon hinein. Wie schon die ganze Zeit in Sorrent – Max weiß, dass es nicht immer so war –, ist sie ohne Zugeständnisse an die aktuelle Mode gekleidet. Heute trägt sie einen dunklen Rock und Mokassins, und ihre Hände stecken in den Taschen einer sehr schönen und gewiss sehr teuren Wildlederjacke. Allein diese Jacke, schätzt Max, dürfte zweihundertausend Lire gekostet haben. Mindestens.
    »Manchmal ist es wirklich finster«, sagt sie. »Vor allem nach einer Niederlage. Jeder einzelne Zug wird lange analysiert, um zu prüfen, ob es der stärkste war, oder ob es eine bessere Variante gegeben hätte.«
    Aus dem Zimmer ist noch immer in rascher Folge das Klacken der Figuren zu vernehmen. Ab und zu dringt eine Bemerkung oder ein Scherz Kellers zu ihnen hinaus, und man hört Gelächter. Die Schläge gehen im selben Tempo weiter,selbst wenn eine Figur zu Boden fällt und ein Spieler sich abrupt danach bückt, um sie aufs Brett zurückzusetzen.
    »Unglaublich. Dieses Tempo.«
    Sie nickt freudig. Oder vielleicht ist es auch Stolz, den sie auf ihre zurückhaltende Weise zum Ausdruck bringt. Wie jeder Supergroßmeister, erläutert sie, könne Jorge Keller sich nicht nur an jeden Zug einer Partie erinnern, sondern auch an alle maßgeblichen Alternativen. Tatsächlich sei er imstande, jede Partie, die er in seinem Leben gespielt hat, aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Und die meisten der Partien seiner Gegner.
    »Jetzt analysiert er seine falschen und richtigen Entscheidungen und die von Sokolow«, fährt sie fort. »Aber das ist fürs Publikum, für die Freunde und Journalisten. Später wird er hinter verschlossenen Türen mit Emil und Irina alles noch ein weiteres Mal durchgehen. Viel gewissenhafter und genauer.«
    An dieser Stelle macht sie eine Pause, neigt den Kopf leicht zur Seite und betrachtet ihren Sohn.
    »Er macht sich Sorgen«, sagt sie in verändertem Ton.
    Max blickt auf Jorge Keller, dann wieder auf sie.
    »Also, diesen Eindruck habe ich nicht«, wendet er ein.
    »Dass der andere den Läuferzug voraussehen konnte, hat ihn aus der Fassung gebracht.«
    »Das habe ich auch gehört. Von einem Kamikaze-Läufer war da die Rede.«
    »Ach so, na ja. So etwas wird von Jorge für gewöhnlich erwartet. Vermeintliche Geniestreiche ... In Wahrheit war der Zug minutiös geplant. Er und seine Assistenten haben lange an dieser Neuerung gefeilt ... Um die mutmaßliche Schwäche Sokolows auszunutzen, wenn er sich mit einem Marshall-Gambit konfrontiert sieht.«
    »Ich fürchte, dieser Marshall sagt mir gar nichts«, gesteht Max.
    »Damit meine ich nur, dass selbst Weltmeister Schwachpunkte haben. Diese Schwachpunkte zu identifizieren und Mittel zu finden, sie auszunutzen, das ist die Aufgabe der Sekundanten.«
    Die

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