Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dreimond - Das verlorene Rudel

Dreimond - Das verlorene Rudel

Titel: Dreimond - Das verlorene Rudel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola L. Gabriel
Vom Netzwerk:
seit beide Teile unsere sind, haben wir den Mut gefunden, offen gegen sie vorzugehen.«
    Wie kleine, marschierende Soldaten führte sie ihre Finger über seinen Körper.
    »Im ganzen Land verbreiten sich jetzt Geschichten von der ›Schwarzen Sichel‹, dem Rudel, das keinen Menschen fürchtet – all das verdanken wir dem Satorakt …«
    Die Worte kamen zärtlich über ihre Lippen. Liebkosend fuhr sie dabei durch sein kurzes Haar.
    »Neuschnee«, bat er, »lass uns vor Alkarn treten …!«
    Die zärtliche Hand hielt inne.
    »Du weißt, dass ich das nicht möchte«, entgegnete sie und setzte sich abrupt auf.
    »Warum …?«, flüsterte Schattenklaue.
    Sie wandte den Blick ab.
    »Weil … weil es eben nicht geht! Wir müssen warten …«
    »Worauf?
    Er setzte sich auf und sah sie eindringlich an.
    »Du weißt, welche Unruhen zurzeit im Rudel herrschen«, erklärte Neuschnee zögernd. »Alkarn ist ohnehin schon aufgebracht. Und nun, da sogar Pfauenauge ihre Stellung aufgegeben hat, nur um den Leitwolf bloßzustellen …«
    Beschwichtigend hob er die Hand.
    »Ich glaube nicht, dass das ihre Absicht gewesen ist. Man sagt, sie will mehr Zeit mit ihrem kleinen Sohn verbringen. Wie heißt der Junge noch gleich?«
    Ein kurzes Lächeln huschte über Neuschnees Lippen.
    »Carras. Das Kind heißt Carras. Das solltest du wissen, Schattenklaue. So groß ist unser Rudel nicht. Noch nicht …«
    Sie strich nachdenklich über ihren Bauch.
    Er zuckte mit den Achseln.
    »Carras, richtig. Ich habe es nicht so mit Kindern …«
    »Ach ja?« Neuschnees Züge verhärteten sich. 
    Ihm gefiel es nicht, wenn sich ihr Blick so kalt und lieblos anfühlte. Fest nahm er sie bei den Händen.
    »Wir müssen nicht sofort vor Alkarn treten. Ich will doch bloß, dass jeder weiß, dass du zu mir gehörst«, beeilte er sich zu erklären.
    Neuschnee sah ihn durchdringend an.
    »Später. Später, wenn sich der Streit um das Satorakt gelegt hat, werden wir vor den Herrscher treten«, versprach sie ihm mit sanfter Stimme. »Im Moment aber«, fuhr sie fort, und das warme Lächeln, das ihre schmalen Lippen nur so selten zeigten, erhellte endlich ihr Gesicht, »will ich nur eins; hier mit dir allein sein …«
    Er zog sie zu sich und küsste sie innig – als plötzlich fernes, aufgebrachtes Wolfsgeheul den Wald durchdrang. Neuschnee schreckte zurück.
    Seine Hände verkrampften sich. Der Sturmgesang!
    »In der Rotburg muss etwas passiert sein!«
    Sie sprang auf und band ihr offenes Haar zusammen.
    »Wir müssen zurück! Jetzt!«
    In Gedanken verfluchte er das Alarmsignal, das ihrer Zweisamkeit gerade jetzt ein Ende setzen musste – doch gleichzeitig wuchs in ihm die Sorge um das Rudel.
    »Du hast recht, wir müssen gehen!«, presste er hervor. Neuschnee küsste seine Stirn.
    »Ich wünschte sehr, uns bliebe noch etwas Zeit.«
    Doch der Warngesang zog unnachgiebig durch den Wald, als sie Seite an Seite zurückeilten und ihre Körper fließend Tiergestalt annahmen.
     
    *
     
    In Wolfsgestalt tönte das Heulen noch lauter, noch durchdringender in Schattenklaues Ohren. Immer neue Fichtenstämme rasten an ihm vorbei. Die grelle Morgensonne ließ ihn blinzeln. Doch den Weg zur Rotburg kannte er blind. Endlich waren die Sandsteinmauern aus der Ferne zu sehen. Er beeilte sich mit Neuschnee an seiner Seite, die letzten Meter zurückzulegen – da verlangsamte sie mit einem Mal ihre Schritte, hielt an und starrte geradeaus.
    Er tat es ihr gleich, folgte dem Blick seiner Gefährtin und erkannte, was ihre Eile gebremst hatte. Aus dem Schatten, den der rote Burgfried warf, schälte sich eine hagere Gestalt. Ohne Zweifel, das war Kaltschnauze, der Leibdiener des Hohen Richters. Was trieb ihn, der dem Richter nicht eine Minute von der Seite zu weichen hatte, in dieser frühen Stunde allein vor die Rotburg?
    Schon hatte der blasse Wolfsmann seine Beobachter bemerkt. Verwundert fuhr sein Blick von Schattenklaue zur weißen Wölfin, dann stolperte er ihnen geradezu entgegen.
    Von Nahem wirkte sein Gesicht noch fahler, noch erschöpfter als gewöhnlich, und Schattenklaue meinte, seinen Angstschweiß riechen zu können.
    »Ihr wisst es noch nicht, richtig?«, rief ihnen Kaltschnauze mit zitternder Stimme entgegen. »Der Hohe Richter, er … er ist angefallen worden! Das Satorakt   – es ist fort!« 
    Neuschnee stieß sich ruckartig vom Boden ab und hetzte in die Rotburg.
    Er folgte ihr durch den Torbogen in den Burghof, der überfüllt war mit aufgebrachten

Weitere Kostenlose Bücher