Dreimond - Das verlorene Rudel
Rudelmitgliedern. Hastig drückte er sich mit der weißen Wölfin durchs Gedränge, bis sie den Roten Turm erreichten.
Breitborke versperrte als Wächter die Tür. Der bullige Wolfsmann bemühte sich darum, die Menge zu beruhigen, und war doch selbst ganz offensichtlich gepackt von Angst und Ungewissheit.
Er atmete auf, als er Schattenklaue und Neuschnee erkannte. »Da seid ihr ja! Alkarn ist außer sich vor Sorge.«
Neuschnee nahm inmitten der Menge ihre menschliche Erscheinung an.
Breitborke blickte diskret beiseite, während er ihr eines der blass-braunen Leinengewänder reichte, die für jene vorgesehen waren, die in Tiergestalt den Turm erreichten. Er wartete, bis sie ihre Blöße bedeckt hatte.
»Wo nur seid ihr zu dieser Stunde gewesen?«, wollte er wissen.
»Dafür ist jetzt keine Zeit!«, warf Schattenklaue ein, während auch er sich den dünnen Stoff über den Menschenkörper zog. »Wir müssen sofort mit Alkarn sprechen!«
»Natürlich …«
Breitborke nickte beklommen und öffnete ihm, Neuschnee und Kaltschnauze, der sich in diesem Moment ebenfalls aus der Menge kämpfte, die Tür zum Königsturm.
Als sie schnellen Schrittes den dunklen Treppengang emporstiegen, nahm Schattenklaue bereits den Geruch der drei Kohortenführer wahr. Nur selten kam es vor, dass sie alle zur selben Zeit in den Roten Turm berufen wurden. Er schluckte. Kein Zweifel, die Lage war ernst.
Atemlos riss er die Türe auf und betrat, gefolgt von Neuschnee und Kaltschnauze, das enge, mit Geweihen behängte Turmzimmer.
In der Mitte des Raumes saß Alkarn, der Leitwolf, auf seinem Thron. Angespannt umklammerte der Herrscher die breiten, hölzernen Stuhlgriffe. An seiner Seite standen Horniss und Eisenfell. Rotpelz, der dritte Kohortenführer, kniete zu Füßen des Anführers. Sein filziges rotes Haar war zum Pferdeschwanz gebunden. Reumütig senkte er sein breites Haupt.
Die Blicke aller fielen für einen Moment von dem in Ungnade Gefallenen ab, als sie Neuschnee und Schattenklaue in ihren dünnen Leinenhemden ins Zimmer treten sahen. Eisenfell zog die dunklen Brauen zusammen. Horniss ’ strenge Lippen zuckten.
Alkarn beendete die bedrückende Stille. »Ein Glück, dass ihr wohlauf seid«, rief er erleichtert. »Schattenklaue, ich habe gehört, du bist auf der Jagd gewesen!«
»Wir sind uns am Burgtor begegnet«, beeilte sich Neuschnee zu erklären.
Entschlossenen Schrittes trat Schattenklaue auf den Herrscher zu. »Mein König, was ist passiert, während ich fort war?«
Gram stand in Alkarns Augen. »Das Satorakt ist gestohlen worden.«
Ihm war, als würden die Wände des Turmzimmers enger zusammenrücken, um ihm die Luft zum Atmen zu rauben. Es schmerzte, die Wahrheit aus dem Munde Alkarns zu hören.
»Hat etwa Lanzburg …?«
»Nein«, unterbrach Eisenfell ihn ernst. »Der Hohe Richter hat das Artefakt mit zur Hügelgrotte genommen, um dort mit seiner Hilfe neue Kräfte für das Mondfest zu sammeln. Kein Mensch kennt den Weg zur Grotte. Auch kein Wolf, sofern er nicht unserem Rudel angehört.«
»Soll das bedeuten, dass …?«
Die Worte wollten nicht von seinen Lippen gehen.
»Ich bin von Wölfen aus dem eigenen Volk betrogen worden!«, beendete Alkarn mit grollender Stimme.
Für einen Moment herrschte Stille.
»Das alles ist seine Schuld!«, zischte schließlich Horniss und zeigte verächtlich auf Rotpelz, der noch immer zu Alkarns Füßen kniete.
»Was hat er damit zu tun?«, fragte Schattenklaue.
Da drehte sich der Gescholtene um, doch blickte er weder ihn noch Neuschnee an. Stattdessen starrte er wie gebannt auf Kaltschnauze – der in diesem Moment vor seinem Herrscher auf die Knie ging.
»Verzeiht, mein Gebieter«, sprach er demutsvoll und verneigte sich noch eine Spur tiefer. »Auch ich bin mitverantwortlich.«
»Kaltschnauze«, sagte Alkarn und bedeutete ihm, sich zu erheben. »Du bist nur der Leibdiener des Hohen Richters. Dich trifft keine Schuld.«
»Ihr habt recht«, pflichtete ihm Horniss bei. »Rotpelz ist der Schuldige!« Sie wandte sich mit schriller Stimme an den Kohortenührer »Du bist als Wächter eingeteilt gewesen. Doch die Aufgabe, Richter und Satorakt zu beschützen, hast du aufs Schändlichste verfehlt!«
»Mein Herrscher!«, rief Rotpelz flehentlich. »Wie hätte ich denn wissen sollen, dass Pfauenauge, die Euch so lange Zeit beraten hat, etwas Böses im Schilde führt?«
»Pfauenauge?«, entfuhr es Schattenklaue nun vollends verwirrt.
Rotpelz rang nach Luft.
»Sie hat
Weitere Kostenlose Bücher