Dreimond - Das verlorene Rudel
Sichel mehr! Du hast kein Recht auf Milde, so wenig wie deine Begleiter!«
»Dornstern!«, rief Serafin gegen den tosenden Beifall an. »Die beiden haben der Sichel nie geschadet!«
»Sie stinken nach Mensch! Allein das ist schon Schaden genug!«, brüllte Bluter aus der Menge.
Lex blickte betroffen zu Boden. In all den Jahren hatte er geglaubt, es wäre sein bestgehütetes Geheimnis, dass seine Mutter ein Menschenweib war. Und doch mussten sie alle es sofort gerochen haben. Bluter, Fangzahn, die Richterin … Lex erstarrte. Wenn dem so war, musste doch auch Carras mit seiner feinen Nase die Wahrheit kennen. Und Serafin …!
»Die beiden«, erläuterte Dornstern, »wollten dir zur Flucht verhelfen. Auch darauf steht der Tod! Wir werden euch in den Sintgrund führen. Heute Nacht unterm Vollmond wird es eine Hetzjagd geben.«
Begeistert johlte die Menge.
Dornstern zeigte auf die goldene Sonne.
»Das ist das letzte Mal, dass ihr sie seht.«
Das glaubst auch nur du, dachte Lex grimmig, während zwei bullige Kerle ein hohes Fass herbeitrugen. Der Saft darin blitzte schwarzrot in der Sonne. Er stank nach Blut. Frischem, warmem Blut.
»Eure Kleider sind weiß wie die Unschuld. Ihr aber habt gesündigt!«, rief die Richterin in den Himmel.
Lex schwante nichts Gutes.
*
Die weiße Wolfsfrau sah zu, wie sie Schattenklaue am Genick packten und seinen Körper in den Blutsaft drückten, so als wollten sie ihn darin ertränken. Sie wusste, dass dem nicht so war. Das Ritual diente dazu, Haut, Haar und Kleider der Gefangenen mit dem Geruch von Blut zu tränken. So waren sie später bei der Hetzjagd leichte Beute. Kein Wolf verlor bei Vollmond eine solche Fährte. Doch mussten die Häscher Schattenklaue dafür so unerbittlich lange in die Tiefe pressen? Musste all dies mitten auf dem Burghof geschehen?
Carras wandte sich vom Fenster ab und Neuschnee glaubte, er könne das Schauspiel nicht ertragen.
Doch der Blick des Wolfsjungen war fest, beinahe streng, als er zu ihr aufsah. »Ist es das, was du wolltest?«
Sie zögerte.
»Es ist das, was er wollte. Dein Serafin hat vor Gericht die Chance gehabt, sich zu verteidigen. Er hat es nicht einmal versucht.« Sie war von der Bitterkeit in ihrer Stimme überrascht.
»Und du?«, fragte der Junge, drehte sich zum Fenster und umklammerte die Gitterstäbe. »Hast du ihn verteidigt?«
Sie schwieg.
*
Lex wusste es. Er wusste, dass sie ihn nicht töten wollten. Er hatte ja gesehen, wie Serafin nach der ganzen Prozedur keuchend, aber lebendig, aus der stinkenden Brühe befreit worden war. Doch jetzt, da sie ihn packten und nach vorn zwangen, konnte er nicht verhindern, dass Angst seinen Nacken hinaufkroch – und das konnten die verdammten Kerle riechen!
Sie kosteten ihr Spielchen aus, ließen ihn unterwürfig vor dem Fass niederknien, befahlen ihm langsam aufzustehen und drückten ihn plötzlich und unerbittlich tief hinab ins Rot.
Es flutete um ihn, drang in Nase, Augen und Ohren. Er spürte, wie er zu zittern begann, als ihm die Luft knapp wurde. Da rissen sie ihn aus der Teufelsbrühe. Lex rang nach Luft, doch schon drückten sie ihn ein zweites Mal hinunter, so schnell diesmal, dass er den Mund nicht schließen konnte und der beißend scharfe Saft in seinen Hals schoss. Er wehrte sich mit Händen und Füßen und wurde umso fester hinuntergedrückt.
Sein Herz pochte in seinen Ohren. Seine Lunge drohte zu zerbersten, seine Muskeln erschlafften. Er würde sterben. Das Rot verschwand, die Sonne brannte in seinen Augen, und er rang mit aller Kraft nach Luft.
Er sackte in den Armen der verfluchten Kerle zusammen, spuckte, keuchte und versuchte seinen Atem zu beruhigen. Einer reichte ihm höhnisch die Hand, die Lex rasend vor Zorn mit einem heftigen Schlag abwehrte. Eine Dummheit. Natürlich. Sofort verpassten sie ihm einen heftigen Tritt in den Magen.
»Genug!«, befahl die Richterin.
Die Kerle schleiften ihn zurück zu Fiona und Serafin, wo sie ihn wie einen Sack Kartoffeln fallen ließen.
Jetzt packten sie das Mädchen!
Fiona sah sich zu ihm um.
Lex spürte, wie das Blut in seinen Kopf schoss.
Weil sie ihn so sehen musste.
Weil er ihr die Sache ersparen wollte.
Sollten ihn doch alle für einen Schwächling halten, Fiona durfte nicht so denken! Lex wollte aufspringen, doch ihm war klar, dass er jetzt rein gar nichts für sie tun konnte. Er blieb keuchend auf dem Boden liegen und musste zusehen, wie die Mistkerle sie quälten.
Noch nie in seinem
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