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Dreimond - Das verlorene Rudel

Dreimond - Das verlorene Rudel

Titel: Dreimond - Das verlorene Rudel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola L. Gabriel
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Leben hatte er sich so schäbig gefühlt.
     
    *
     
    Wozu war sie hier?
    Als Schattenklaue und seine Freunde nach dem Ritual abgeführt worden waren, hatte es Neuschnee im Turm ganz plötzlich nicht mehr ausgehalten. Sie war ihnen nachgelaufen. Nur ein Stück, nicht bis zum Ende des Weges. Nun stand sie hier im Nirgendwo, die Rotburg im Rücken, weit vor ihr den Sintgrund, und wusste nicht, wohin sie gehen sollte. Nur eines war sicher. Schattenklaue würde bei der Hetzjagd heute Nacht zu Tode kommen, und mit ihm die, die er schützen wollte. Aus dem Felsental gab es keinen Ausweg.
    Die Sonne war verschwunden, dichte Wolken krochen übers Himmelszelt und Neuschnee zog die Kapuze ihres Wollumhangs tiefer ins Gesicht. Der Wind blies ihr scharf in den Rücken, so als wolle er sie vorwärtsschieben. Sie wollte weitergehen, weiter zum Sintgrund, als sie den Geruch des Wolfsmannes wahrnahm, mit dem sie jetzt als Allerletztem reden wollte.
    »Was willst du, Kaltschnauze?«, fragte sie, ohne sich nach ihm umzudrehen.
    »Du bist nicht zum Ritual erschienen? Warum nicht?«, säuselte seine leise Stimme. »Der Blicke wegen?«, ergänzte er, als sie ihm die Antwort schuldig blieb.
    Die Wolfsfrau lachte auf.
    »Du musst es wissen, Kaltschnauze! Du bist während der Zeremonie weit hinter Alkarn stehen geblieben. Ich habe es durchs Fenster gesehen!«
    Als sie sich nach ihm umdrehte, kniff sie ihre Augen nicht zu, obgleich der Wind ihr schneidend scharf entgegenblies. Sie wollte ihn bei ihrer Frage ansehen. »Schattenklaues Befragung hat dir mehr geschadet als genützt, nicht wahr?«
    Kaltschnauze senkte den Kopf, um seine kalten Finger mit dem Atem zu wärmen.
    »Niemand glaubt den Worten eines Verräters.«
    »Nein, allem Anschein nach glaubt ihm niemand«, entgegnete sie lächelnd. »Aber Gerüchte halten sich. Das müsstest du doch wissen, Kaltschnauze. Du, der du nur zu gern selbst welche streust!«
    »Überheblichkeit«, zischte er, »steht dir nicht gut zu Gesicht, Alkarnswölfin. Gerade du solltest nicht auf mich herabsehen. Du und ich, wir sind uns ähnlicher als du denkst!«
    Er kam näher. Es gefiel ihr, dass sie ihn um fast einen Kopf überragte.
    »Ähnlich? Du und ich?«
    »Sehr sogar!«, raunte der Wolfsmann. »Du wolltest mehr sein als eine unter vielen. Ich war es leid, ein Leben lang nur der Diener des Hohen Richters zu sein. Wir beide haben es in den Roten Turm geschafft. Der Weg dorthin ist voller Tücke!«
    Sie hielt ihre Kapuze, die ihr der Wind vom Kopf reißen wollte. »Was willst du damit sagen?«
    »Damit will ich sagen, dass wir klug sind, Neuschnee! Klüger als die anderen im Rudel! Darum verrate ich dir etwas. Ich …« Er hielt inne und starrte prüfend in die Tiefe des Satorwaldes, aus dem von irgendwo her ein Rascheln zu ihm gedrungen war. »Ich halte es für eine Torheit«, sagte er jetzt leiser, »den Schwarzen umzubringen, noch bevor wir das Satorakt in den Händen halten! Ich will es haben, Neuschnee, so sehr wie du! Die Hetzjagd, die Racherituale … All das bedeutet mir nichts!«
    Verwundert sah sie ihn an.
    »Sag mir«, raunte er, »was Pfauenauges Sohn dir verraten hat! Gemeinsam könnten wir vieles verändern. Vielleicht … sogar den Ausgang der Hetzjagd.«
    Den Ausgang der Hetzjagd? War das noch möglich …? Sie sah ihn an, und sie fragte sich, ob er und sie zum ersten Mal das gleiche Ziel verfolgten. Da bemerkte sie das siegessichere Grinsen, das ihr Zögern für Sekunden auf seinen Lippen hinterließ. Nein, er war kein Partner. Angewidert wich sie einen Schritt zurück.
    »Meinst du wirklich, ich ließe mich von dir benutzen? In all den Jahren hast du nur versucht, mich zu verdrängen, um als alleiniger Berater am Thron zu stehen. Dabei hätte einer wie du dankbar sein sollen, dem Priester überhaupt dienen zu dürfen – einer wie du, der nach Mensch stinkt!«
    Neuschnee war zufrieden. Endlich verschwand das Lächeln auf Kaltschnauzes Lippen und die sonst bleichen Wangen färbten sich rot.
    »Der Leitwolf hat verboten, dass mich jemand ein Halbblut nennt!«
    »Ach?«, rief Neuschnee verächtlich. »Schon versteckst du dich wieder hinter Alkarn, gegen den du noch vor Sekunden ein Bündnis mit mir schließen wolltest. Nein, ich bin nicht wie du, Kaltschnauze, ich bin kein Feigling und kein Egoist. Egal zu welchem Nutzen, du bist der Letzte, mit dem ich mich zusammentun würde!«
    Genugtuung erfüllte ihre Brust, als sie den Wolfsmann hinter sich ließ und entschlossen zurück zur

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