Dreimond - Das verlorene Rudel
reihten sich rote Äpfel, mehlbestäubte Brotlaibe und Hähnchenkeulen. Eine Dienerin stellte Holzbecher mit purpurnem Saft neben den Gefangenen ab. Sie kam ein zweites Mal mit drei weißen Leinengewändern auf dem Arm.
»Esst! Und zieht das über!«, befahl einer der Kerle, als die Speisen abgestellt waren.
Obgleich Fiona nicht verhindern konnte, dass ihr nach all den Tagen ohne feste Nahrung das Wasser im Mund zusammenlief, war ihr so gar nicht nach Essen zumute. Nervös sah sie die vier Wächter an, die seltsam feierlich in Reih und Glied vorm Kerkereingang standen. Sie spähte zu der Dienerin, die, ganz in sich versunken, stetig über die weiten weißen Kleider strich. Fionas Verzweiflung wuchs, eine schreckliche Ahnung erfüllte den Raum und raubte ihr fast die Luft zum Atmen.
Da ließ sich Lex entspannt neben die Speisen fallen und griff nach einer Hähnchenkeule. »Na, dann guten Appetit!«
Fionas sah verwirrt zu, als er jetzt mit beiden Händen nach Saft, Brot und Fleisch langte. Als sich auch noch Serafin zu Lex gesellen wollte, packte sie seine Hand.
»Was hat das zu bedeuten? Sag’s mir, Serafin!«
»Die Bestrafung steht bevor«, raunte der Schwarze. »Nicht nur für mich. Leider.«
Sie folgte seinem Blick und sah auf die … Totenkleider? Lex schlug sich scheinbar gelassen den Magen voll.
»Das Essen ist doch nicht vergiftet …?«, rief sie alarmiert.
Serafin schüttelte den Kopf. »Nein. Zu menschlich.«
»Was … Was soll das schon wieder heißen?«, stammelte sie, während sich in ihrem Kopf so manche unmenschliche Strafe abspielte.
Lex, ein Stück Brot in der Hand, wandte sich an sie.
»Kleine, das heißt, dass wir es dringend nötig haben uns zu stärken!«
Fiona atmete tief ein, dann lief sie zu ihm und nahm das Brot.
*
Neuschnee hatte nicht mit Alkarn und Kaltschnauze den Turm verlassen. Sie wollte nicht mit den Schaulustigen darauf warten, bis Schattenklaue und die beiden Kinder auf den Burghof geführt würden. Ihr war nur zu gut bewusst, wie viele Augen auf sie gerichtet wären, wenn sie den Schwarzen …
Neuschnee seufzte. Es hatte sie in all den Jahren viel Kraft gekostet, die heimlichen Gerüchte, die sich um sie und Schattenklaue gerankt hatten, zu ersticken. Es war schwer gewesen, als Leitwölfin an Alkarns Seite anerkannt zu werden. Ihr war es trotzdem gelungen, mit viel Geschick und vor allem mit Beharrlichkeit. Nun aber, da Schattenklaue sie, ausgerechnet sie, auf dem Burghof angefleht hatte, Carras beizustehen – da waren sie mit einem Mal zurückgekommen, die schmerzende n Blicke voller Hohn, Misstrauen und Zweifel. Wie viel hatte wohl Blitzschweif von alledem mitbekommen? Was wusste Alkarn …?
Manchmal hasste sie ihr eigenes Rudel! Sie traute keinem, hatte niemandem verraten, was sie von Carras wusste, es nur bei Andeutungen belassen. Diesen Trumpf würde sie mit Geschick ausspielen!
Unter dem Vorwand, das Kind noch einmal befragen zu müssen, war sie im Turm zurückgeblieben. Trotzdem wollte sie sehen, was man dem Schwarzen antat.
Sie befahl dem Wächter, der inzwischen vor Blitzschweifs Zimmer aufgestellt war, die Tür zu dem Raum zu öffnen, der noch immer als Carras’ Gefängnis diente.
Der Junge stand natürlich am Fenster. Er sah sich nicht nach ihr um, als sie hinter ihn trat, starrte gebannt zum Kerker, aus dem in diesem Moment Schattenklaue, das Menschenmädchen und das Halbblut in weißen Gewändern ins Freie traten.
*
Lex fand sie gar nicht mal so übel, die sogenannte Hohe Richterin, die da im blendend grellen Tageslicht auf ihn zuging. Gut, sie erschien ihm ein bisschen zu streng, ein bisschen zu schmal vielleicht. Aber er mochte ihren Duft. Er schmeckte nach Wald, nach Sehnsucht und nach fieberhafter Jagd.
Mit einer Mischung aus Ernst und Mitleid musterte die Wolfsfrau die Gefangenen und erinnerte Lex nur zu klar daran, dass ihm und den anderen nichts Gutes bevorstand. Vorsichtshalber schob er sich ein Stück vor Fiona, als der priesterliche Leibwächter seine Stimme erhob.
»Die Hohe Richterin hat ihr Urteil gefällt! Alkarn billigt die Entscheidung! Somit ist beschlossen, was sie uns verkünden wird!«
Die auf dem Burghof versammelten Wolfsmenschen reckten ihre Hälse.
»Schattenklaue«, sagte die Priesterin. »Ich spreche dich schuldig des Verrates, des Diebstahls und des Brudermordes!«
Lex spähte zu Serafin. Die Züge des Leitwolfs blieben regungslos – bis die Wolfsfrau weitersprach.
»Du bist kein Teil der
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