Dreimond - Das verlorene Rudel
Herbstluft ein. Sie zitterte vor Spannung und … Vorfreude. Heute endlich war es so weit.
Doch ihre Besucher hatten seit dem Morgengrauen noch kein einziges Wort an sie gerichtet. Sie schienen ihr geradezu aus dem Weg zu gehen. Fiona hatte sie bislang auch nicht miteinander reden hören. Als ob sie wüssten, dass eine einzige unbedachte Äußerung irgendein Fass zum Überlaufen bringen würde.
Was, um Himmels willen, ging hier vor? Gut, wenn sie nicht reden wollten, bitte schön. Sie jedenfalls war keine Quasselstrippe, die den Mund nicht halten konnte. Schließlich hatte sie lange genug mutterseelenallein gelebt. Es war nicht so, dass sie das nicht aushalten konnte. Alles eine Frage der Gewöhnung. Sie fühlte Trotz in sich aufsteigen. Tat es ihnen etwa leid, was sie ihr versprochen hatten? Wollten sie sie vielleicht einschüchtern oder gar austricksen?
In diesem Moment schlenderte Carras über den Hof zum Forsthaus. Fiona stutzte. War das noch der Junge, der sich vor wenigen Wochen Schutz suchend an Serafin gedrückt hatte? Der mit Desiree und den Schwalben seinen Schabernack trieb?
Carras’ Schultern schienen breiter, seine Züge waren ernst, sein Gang hatte alles Schüchterne, Niedliche verloren.
Nein, es war nicht zu übersehen, dass sein Lockenschopf seit gestern schon wieder um ein deutliches Stück gewachsen war und das Haar noch üppiger in sein auf einmal gar nicht mehr so jungenhaftes Gesicht fiel. Wie war das möglich?
Jetzt ging er in die Hocke, verharrte einen Augenblick, schnellte hoch und angelte von einem Ast seines Lieblingsbaumes zum nächsten.
Sie reckte den Kopf aus dem Fenster und sah gerade noch, wie er mit einem sicheren Satz durchs Dachfenster ins Hausinnere verschwand. Das Ganze hatte keine fünf Sekunden gedauert.
Ein Räuspern riss sie aus ihrer Verblüffung. Hinter ihr stand Lex breitbeinig, die Arme vor der Brust verschränkt, in der Küchentür. Seine Gestalt nahm den ganzen Türrahmen ein. Wie lange stand er schon dort? Fiona konnte den Blick nicht von ihm wenden. Sie spürte seine unbändige Kraft, seine Hitze und eine Lebensgier, die ihr fast den Atem nahm. Sie stand wie gelähmt, auch Lex rührte sich nicht.
Da räusperte er sich ein zweites Mal und wandte sich ab »Serafin meint, du sollst dich bereit machen«, murmelte er bereits im Gehen.
Sie verharrte noch immer. Dann riss sie sich von seinem Anblick los und raste die Treppe hoch in ihre Kammer.
Sie nahmen sie mit! Sie ließen sie wirklich zusehen!
Auf Serafin war eben Verlass. Wo steckte er eigentlich? Egal, sie musste sich beeilen!
Sie kniete vor ihrer kupferbeschlagenen Kleidertruhe und zog eines ihrer feinsten Gewänder hervor, das mit Lochstickereien und schimmernden Samtbändern versehen war. Heute Nacht würde sie an etwas Besonderem, ja womöglich Außerirdischem teilnehmen, das vielleicht keinem anderen Menschen jemals wieder vergönnt sein würde. Und diesen Anlass galt es, würdig zu begehen.
Als sie mit stolzem Gefühl die Treppe hinabstieg und Serafin, Lex und Carras schon ungeduldig vor dem Haus warteten, wurde ihr auf der Stelle klar, dass es nicht mehr im Geringsten um sie ging. Keiner schien sie sonderlich zu beachten.
Serafin, offensichtlich tief in Gedanken versunken, nickte ihr nur kurz zu. Mit weit ausholenden Schritten liefen er und seine Gefährten zielstrebig Richtung Wald. Fiona folgte ihnen, fest entschlossen, Schritt zu halten. Sie war jetzt so aufgeregt, dass sie es kaum noch aushalten konnte.
*
Die Frau strich müde eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht. Das braun gefleckte Fell um ihre Schultern und ihr dunkles Wollkleid boten eine vorzügliche Tarnung. Im fahlen Licht des Mondes wirkte ihr zu einem langen Zopf geflochtenes Haar fast weiß.
Stumm betrachtete sie das silbern glitzernde Wasser im steinigen Bachbett zu ihren Füßen. Sie spürte den flackernden Blick ihres Begleiters auf sich.
»Wie lange willst du noch warten? Es ist gegen unsere Natur«, zischte er.
Sie fuhr herum, versuchte, sich zu beruhigen. »Schweig! Du kannst gehen. Ich will allein sein!«
»Alkarn hat gesagt, ich soll …«,
»Geh! Sofort! Bei Sonnenaufgang erwarte ich dich hier.«
Ihr Begleiter zögerte einen Moment, machte dann aber kehrt und verschwand wortlos im Unterholz.
Erleichtert seufzte sie auf. Sie mochte ihn nicht, hatte ihm noch nie vertrauen können. Niemals würde sie ihm erlauben, die Mondtaufe allein mit ihr zu begehen.
Sie atmete tief durch. Die letzten Monate hatten ihnen
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