Dreimond - Das verlorene Rudel
mich nicht vor Fionas Wölfen!«
Heiser lachte die Alte auf. Emerald sah in ihren Augen, dass sie erschrockener über sein Wissen war, als sie zeigen mochte.
»Junge, bist du noch ganz bei Trost? Du verrennst dich in etwas!«
»Jetzt tu doch nicht so«, rief er. Sein Herz raste, doch diesmal nicht aus Angst, sondern vor Zorn. »Womöglich steckst du auch mit diesen Kreaturen unter einer Decke! Auf jeden Fall ist Fiona …«
»Was weißt du schon über Fiona?«, herrschte sie ihn an. »Als hätte das Fräulein etwas mit solch einem Humbug zu tun! Was für ein …«
»Und was ist dann … das?« Starr vor Schreck klammerte er sich an das Kleid der Alten und deutete zitternd hinter sie.
Nicht mehr als fünfzehn Schritte von ihnen jagte ein schwarzer Wolf durchs Unterholz, auf seinem Rücken ein kleines, dünnes Mädchen, dessen weißes Kleid mitsamt den bunten Schleifen wild im Zugwind wehte. Die linke Hand reckte sie gen Himmel, ihre rechte war tief im Pelz des Tieres vergraben. Fiona trieb das Tier jubelnd an, schneller zu laufen.
Schon waren die beiden wieder im dichten Wald verschwunden. Einen Moment länger sah Emerald zartes Weiß zwischen den Bäumen aufblitzen, dann waren Wolf und Wolfsreiterin entschwunden, fast, als wäre alles nur ein Traum gewesen.
Emerald starrte ihnen noch lange nach, ehe er begriff, dass er sich noch immer an das Kleid der Kräuterfrau klammerte.
Nanna hatte ihre Arme schützend um seine Schultern gelegt. Er spürte, dass ihre Hände zitterten. Verwundert suchte er ihren Blick.
Für einen Moment, der wie eine Ewigkeit erschien, blickten sie sich in die Augen. Er konnte darin ihre grenzenlose Überraschung lesen. Und Angst, große Angst.
Um ihr eigenes Leben? Um das seine? Oder um das Leben von … Fiona?
Nanna rang nach Worten. »Ich weiß, dass … dass du das, was wir gesehen haben, nicht einfach vergessen kannst …« Sie stockte und blickte ihn eindringlich an. »Aber ich bitte dich, du darfst niemandem etwas davon erzählen …! « Sie hielt inne, dann deutete sie in den Wald. »In dieser Richtung liegt Liebstein. Lauf so schnell du kannst, ich werde bald nachkommen.«
»Wo willst du hin?«, flüsterte er unsicher.
»Ich muss nach dem Fräulein sehen«, entgegnete die Heilerin verzweifelt. »Ich glaube nicht, dass sie sich der Gefahr bewusst ist.«
Mit diesen Worten wandte sie sich abrupt von ihm ab, nickte ihm noch einmal kurz zu und lief in die Richtung, in die der Wolf und das Mädchen verschwunden waren.
Emerald wagte nicht, ihr zu folgen. Kopfschüttelnd ballte er die Hände zu Fäusten. Er hatte sich in der Alten geirrt. Nanna war unschuldig! Doch Fiona …
Emerald hatte ihn wiedererkannt, den schwarzen Wolf, den sie geritten hatte. Das war das übermenschlich große Tier, dem er schon damals, im Schweinegatter, begegnet war, als die Bestien das Dorf überfallen hatten …
Das Dorf! Er musste zurück ins Dorf!
Ein letztes Mal blickte er in die Richtung, in die Nanna verschwunden war, dann drehte er sich um und rannte so schnell er konnte nach Liebstein.
*
Es war wie ein Höllenritt mitten durch den Himmel, schön und abgründig.
Sie durchquerten den Waldsaum, jagten durch das Gehölz und Hügel um Hügel hinauf und hinunter. Hatte Fiona ihren Kopf anfangs noch tief in Serafins dichtes Nackenhaar gedrückt und sich ein wenig verschreckt in sein Fell gekrallt, wurde sie mit jedem Meter mutiger. Trotzdem kreischte sie auf, als sie eine Vogelschwinge berührte und kurz darauf der unheimliche Schrei des Uhus durch die Nachtluft hallte.
Überhaupt schien es ihr, als ob sie die Gefiederten der Dunkelheit in besonderer Weise anzögen. Sie fühlte sich auf einmal umgeben von einer seltsamen Schar schwarzer Flugkünstler – waren es Fledermäuse? –, die sie schwirrend und flatternd umschwärmten, während sie wie eine Windsbraut auf dem glänzenden Fell des majestätischen Werwolfs durch den Wald preschte. Sie konnte nicht anders, als ihre Arme hochzuwerfen und dieses mächtige Gefühl von Freiheit und Freude laut in die Luft zu schreien.
Fiona hätte nicht sagen können, wie lange sie schon auf Serafin geritten war. Und es scherte sie auch nicht. Sie mochte nicht einmal darüber nachdenken, dass dies hier irgendwann ein Ende haben würde. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie alles darum gegeben, die Zeit für eine Weile anzuhalten. Als sie das alte Forsthaus erblickte, wusste sie, dass es vorbei war.
Serafin hatte sie zurückgebracht. Er
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