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Dreimond - Das verlorene Rudel

Dreimond - Das verlorene Rudel

Titel: Dreimond - Das verlorene Rudel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viola L. Gabriel
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passierten. Hatte sie das alles nicht ernst genug genommen?
    Wie es jetzt aussah, wäre es klug gewesen, den Dingen viel früher Einhalt zu gebieten. Warum nur hatte sie gezögert?
    Vielleicht, weil sie im Grunde ihres Herzens von Anfang an überzeugt gewesen war, dass sie hier nichts ausrichten konnte? Dass alles irgendwie unaufhaltsam war?
    Sie schüttelte den Kopf und zwang sich, weiterzusuchen. Sie musste etwas tun, um nicht verrückt zu werden.
    Mein Gott, sie presste die Hand aufs Herz, denn es nahm ihr schon wieder den Atem, als sie an das dachte, was sie gerade mit eigenen Augen gesehen hatte.
    In dieser Nacht spürte sie ihr Alter deutlich. Es fiel ihr schwer, sich immer weiter durch den Wald zu kämpfen. Aber auf ihre Augen konnte sie sich verlassen. Sie durfte sich nichts vormachen. Das auf dem Wolf war ihre Kleine gewesen. Fiona, auf die sie aufzupassen feierlich versprochen hatte.
    Nanna schwankte. Sie konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, stolperte, griff ins Gestrüpp, um sich abzustützen – und zuckte zurück. Was war das?
    Das Mondlicht beschien den Stofffetzen, den sie in der Hand hielt, grell und unbarmherzig. Sie stöhnte auf. Das war eindeutig ein Teil von Fionas Kleid. Sie erkannte die eingerissene Spitzenborte genau. Ihr wurde erneut schwindlig, aber sie konnte nicht aufhören zu schreien.
    »Fräulein!? Fräulein, wo bist du …?«
    Sie rief es immer und immer wieder, während sie weitertaumelte. Mit einem Mal schien es ihr, als würde etwas auf sie zukommen. Näher, immer näher.
    Als sie die weiß gekleidete Gestalt zwischen den Bäumen auftauchen sah, glaubte sie, sie sähe einen Geist.
    »Nanna bist du das?«, fragte dieser klar und deutlich. »Was in aller Welt machst du denn hier?«, klang die Stimme jetzt erstaunt.
    Aber da hatte sie auch schon ihre Arme um Fiona gelegt und drückte sie fest an sich, als wollte sie sie nie wieder loslassen. Als sie ihr Fräulein dann endlich ein wenig von sich wegschob, um sie anzusehen, war sie erleichtert, aber auch ein bisschen erschrocken. War das noch das zarte, schutzlose Mädchen, von dem sie glaubte, dass es allein ganz und gar verloren wäre?
    Sie blickte in das zerkratzte, aber strahlende Gesicht einer Fünfzehnjährigen, die sie erschöpft und eine Spur abwesend, aber wohlbehalten anlächelte.
    »Nanna, du weißt ja gar nicht … Du kannst dir nicht vorstellen … Ach was, das würdest du mir niemals glauben!« Und mit einem fast trotzigen Unterton und leise, wie nach innen gewandt, schüttelte sie den Kopf. »Niemals …«
    Nanna drang nicht weiter in sie. Sie legte Fiona einen wärmenden Schal um die Schultern, nahm sie bei der Hand und führte sie schweigend durch den jetzt sehr stillen Wald nach Hause.
     
    *
     
    Ruhe! Er brauchte Ruhe!
    Emerald hielt sich die Ohren zu. Er saß auf der nackten Erde, lehnte erschöpft am Dorfbrunnen und versuchte all das zu begreifen, was passiert war, seit er nach Liebstein zurückgekehrt war – in jenes Dorf, in dem er sich bisher trotz allem sicher geglaubt hatte.
    Diese Sicherheit gab es nicht mehr. Nie mehr! Nicht, nachdem er Karl Zwieker auf dem Dorfplatz hatte liegen sehen. Er würde diesen grausamen Anblick nie mehr vergessen. Sie hatten ihn so zugerichtet. Die Wölfe.
    Sofort war er zur Wirtschaft gerannt, dem einzigen Haus, in dem zu dieser späten Stunde noch Licht brannte. Dann war er zu Rosa gegangen …
    Jetzt kniete sie bleich, nur mit einem Morgenrock über ihrem Nachthemd, neben ihrem Mann und weinte bitterlich. Zwiekers Körper war notdürftig mit einem Laken bedeckt.
    Das ganze Dorf hatte sich inzwischen um die Szene versammelt. Schluchzend, schimpfend, wild diskutierend.
    Jetzt kamen die Ersten zu Emerald an den Brunnen. Es hatte sich wohl herumgesprochen, dass er es gewesen war, der die Leiche gefunden hatte. Sie wollten seine Geschichte hören. Sie verlangten nach der Wahrheit.
    Emerald presste die Hände an die Stirn. Er wusste, worum ihn Nanna so verzweifelt gebeten hatte. Und irgendwie mochte er die Heilerin. Aber konnte er jetzt noch schweigen? Nach allem, was geschehen war?
    Nein.
    Langsam richtete er sich auf und deutete auf Karl Zwieker.
    »Hört her! Ich weiß, welche Bestien ihm das angetan haben. Und ich weiß, wo sie sich verbergen!«
     
    *
     
    Verwundert betrat Nanna das kleine Dorf. Solch ein Lärm zu so später Stunde? Zögernd näherte sie sich der Menschenmenge, die sich auf dem Dorfplatz versammelt hatte.
    » Emerald, ist das auch wirklich

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