Dreimond - Das verlorene Rudel
lasse ich dem Kerl nicht durchgehen! Dem werd‘ ich die Leviten lesen! Nur brauche ich dazu deine Hilfe, Carras! Deine Nase ist viel feiner als meine . Nur mit dir zusammen kann ich ihn finden. Also, was ist? Nehmen wir die Verfolgung auf?«
Dicke Tränen kullerten über Carras’ Wangen. »Ja … Ich komme mit dir!«
»In Ordnung. Dann mal los!«
Sprachlos sah Fiona zu, wie die beiden Seite an Seite aus dem Waldsee stiegen.
*
Immer dichter schlang sich der Nebel um die Bäume. Ohne die Hilfe der Wolfsmänner wäre es Fiona schwergefallen, den Weg zurück zum Forsthaus zu finden. Nachdenklich musterte sie Lex, der jetzt, dicht gefolgt von Carras, voranging. Seine Kleider trieften wie die des Wolfsjungen; auch sah man ihm noch immer die Blessuren vom Kampf mit Bluter an – und doch, etwas an ihm war verändert. Die Art seines Gangs, die Selbstverständlichkeit, mit der Carras ihm den Vortritt ließ.
Er ist jetzt der Leitwolf, erkannte Fiona und bemühte sich, mit den anderen Schritt zu halten. Kaum waren sie am Forsthaus angelangt, unterstrich Lex seine neue Rolle.
»Fiona, wir brauchen trockene Kleider. Und Mäntel, etwas Warmes für die Reise!«
»Die Reise …?«, murmelte sie. »Wie lange wird es denn dauern, sie einzuholen?«
»Lange«, sagte Lex. »Sie sind wesentlich schneller als wir. Und Carras’ Geruchssinn ist so kurz nach der Verwandlung noch nicht der Beste.«
Der Junge nickte niedergeschlagen.
»Trotzdem«, meinte Lex ernst, »haben wir eine Chance. Der Sitz der Schwarzen Sichel muss ein gutes Stück von hier entfernt sein. Sonst hätten sie Serafin doch schon viel früher aufgespürt. Mit jedem Tag, an dem Neuschnee und Bluter weiterziehen, werden sie gemächlicher und unvorsichtiger reisen. Sie werden sich ihrer Sache sicher sein und nicht mehr mit Verfolgern rechnen.«
»Und dann schlagen wir zu!«, rief Carras.
»Genau.« Lex nickte. »Kleine, was ist jetzt mit den Kleidern?«
»Oh! Ach so … Kommen sofort!«
Eilig verschwand Fiona in das Zimmer ihres Vaters. So eine Entschlossenheit hätte sie dem Kerl gar nicht zugetraut, stellte sie fest, als sie längst verstaubte Mäntel, Schuhe und Pullover aus den Schränken kramte. Lex hatte also auch brauchbare Seiten …
Dessen war sie sich nicht mehr ganz so sicher, als er im Flur ungefragt in ihrer Kommode herumwühlte.
»Hast du hier irgendwo so was wie Waffen?«, fragte er unvermittelt. Fiona schob sich zwischen ihn und die Kommode, drückte ihm die Kleider in die Hand.
»Waffen? Naja, Pfannen und Küchenmesser vielleicht …«
»Die kannst du behalten«, seufzte Lex. »Carras kümmert sich übrigens gerade um den Proviant.«
»In meiner Vorratskammer?«
»Viel hast du darin nicht gerade«, meinte der Wolfsjunge, der gerade mit einem Laib Brot und einigen Äpfeln aus der Küche kam.
Fiona stutzte. Warum war Rosa eigentlich noch nicht hier gewesen? Zwiekers Frau hätte heute Morgen neue Lebensmittel vorbeibringen sollen. Ob im Dorf alles in Ordnung war …?
»Wir finden auf dem Weg Verpflegung«, meinte Lex. Er und Carras stiegen aus ihren nassen Kleidern und hüllten sich in die warmen, dunklen Reisegewänder des alten Kaufmanns.
Sie verstand nicht, warum Lex sie plötzlich so ernst und feierlich ansah.
»Tja, dann … Danke für alles, Kleine!«, erklärte er zögernd. »Schade, dass es so enden musste …«
Fiona brauchte einen Moment, um seine Worte zu begreifen, dann fiel sie ihm mit hochrotem Kopf ins Wort. »Ich komme natürlich mit euch!«
Lex Augen wurden groß und rund. »Wie kommst du denn darauf?«
»Wie kommst du darauf, dass ich einfach so hierbleibe?«, war die einzige Antwort, die ihr einfiel.
»Na, weil du uns bloß ein Klotz am Bein wärst, ist doch klar!«
Lex konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Fiona funkelte ihn böse an. So viel zu unserem großen, neuen Leitwolf!
Lex lachte. »Ach, Kleine, nun schau doch nicht so finster. Das wird nun mal ein Kampf unter Wölfen. Dem bist du ganz einfach nicht gewachsen.«
»Du bist Bluter und Neuschnee doch selbst nicht gewachsen«, zischte Fiona.
»Was willst du damit sagen, Zwergin?«
»Dass du mir gar nichts zu befehlen hast, du Möchtegern-Anführer!«
»He!«, mischte sich Carras ein und drängte sich zwischen Fiona und Lex. »Ich denke, ihr wollt Serafin helfen!«
»Will ich auch«, meinte sie mit verschränkten Armen. »Alles, was ich sage, ist, dass wir alle diesem Rudel an Kraft und Schnelligkeit unterlegen sind. Um denen
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