Dreimond - Das verlorene Rudel
ununterbrochen in diesem hohen, verniedlichenden Tonfall, seit Carras seine nassen Kleider gegen den von ihr angeschleppten Aufputz eingetauscht hatte. Er trug jetzt einen blau-weiß gestreiften Wollpulli, knöchellange Stoffhosen und dazu lange schwarze Strümpfe an den Beinen, die in ledernen Schnürstiefeln steckten.
»Schon möglich …«, brummte ihr Mann, der träge auf einem der Küchenstühle saß, und dabei in stummer Skepsis eine seiner buschigen Augenbrauen hob.
»Frau Wirtin, wer ist denn dieser Hans?«, fragte Carras, während er sich Zuckerkrümel von den Lippen leckte.
»Frau Wirtin? Du sollst doch Gundel zu mir sagen! Tante Gundel, wenn du magst!«, plapperte die Alte.
»Also, Tante«, gehorchte Carras in der Hoffnung auf weitere Krapfen. »Wer ist Hans?«
»Hans ist mein Sohn«, seufzte Gundel. »Er sollte die Wirtschaft übernehmen, aber der Rabauke wollte lieber fort nach Lanzburg ziehen, um dort sein Glück zu machen. Bei euch ist ja nichts los , hat er gesagt. Du, Gregor, wie lange ist der Hans jetzt schon fort?«
Schläfrig zuckte der Wirt mit den Schultern.
»Elf, nein, zwölf Jahre sind’s, gell?«, überlegte sie.
»Schon möglich …«, meinte Gregor und gähnte herzhaft.
»Und jetzt sitzen wir zwei Alten hier«, klagte die Wirtin. »Einsam und allein. Gäste kommen selten und das Geld, oh, das Geld bleibt aus!«
»Ach, Tante Gundel, keine Sorge!«, erklärte Carras gönnerhaft. »Meine … Schwester ist überraschend gut bei Kasse. Pack uns morgen früh ruhig einen Rucksack voll mit Proviant, dann überzeug’ ich sie, dass sie nicht knauserig sein muss mit den Piepen !«
»Hast du das gehört, Gregor? Ist er nicht ein Goldstück?«, rief die Wirtsfrau begeistert aus.
» Hm-hm «, gab der Alte von sich.
Carras war sich nicht sicher, ob das eine Zustimmung oder ein Schnarcher war.
Schon war Gundel erneut verschwunden.
Na also , freute sich Carras, als sie ihm einen weiteren Krapfen reichte. Gerade hatte ihm die gute Frau das Gebäck in die Hand gedrückt, als ein lautes Klopfen an der Wirtshaustür ertönte.
»Noch mehr Kundschaft!«, frohlockte die Wirtsfrau. »Heute muss unser Glückstag sein!«
Sie eilte etwas schwerfällig in Richtung Tür.
Carras, der es allein mit dem stillen Alten ein wenig gruselig fand, sprang vom Tisch und folgte der Wirtin. Tief sog er den Duft des Krapfens ein, während er aus der Küche schlenderte. Genüsslich biss er in das Gebäck, spazierte durch den Schankraum – und erstarrte. Er kannte den Geruch des verhüllten Fremden, der gefolgt von vier weiteren nassen Gestalten in die Schenke trat.
Doch was noch schlimmer war, der Mann erkannte auch ihn.
Der Krapfen fiel aus Carras’ Händen.
»Na, ihr seid ja auch ganz durchnässt! Herzlich willkommen im …«, begrüßte die Wirtin die Männer, als Bosco ein ungläubiges Lachen ausstieß, sie aus dem Weg wischte und – noch bevor Carras reagieren konnte – seinen Revolver auf ihn gerichtet hatte.
»So sieht man sich wieder!«, zischte der Räuber. Es war ihm und seinen Leuten anzusehen, dass Lex den Kerlen übel mitgespielt hatte. Kein Zweifel, die waren auf Rache aus!
Carras versuchte, sein rasendes Herz zu beruhigen, während er begriff, dass eine Flucht unmöglich war. Zwar war er schneller als die Menschen, doch wohin sollte er fliehen? Der Ausgang wurde von den Kerlen versperrt, und die Treppe ins Obergeschoss war selbst für ihn zu weit entfernt – immerhin wurde gerade ein Revolver auf ihn gerichtet!
» K-kennen wir uns?«, versuchte er sich Zeit zu verschaffen.
»O ja«, flüsterte Bosco böse lächelnd. »Wir kennen uns.«
Tadelnd hob der Hauptmann den Zeigefinger, als Carras einen Schritt zurückweichen wollte.
»Keine Bewegung!«
»Das m-muss eine V-verwechslung sein!«, stotterte Carras.
»Ja! Eine Verwechslung!«, keuchte Gundel, ihre geweiteten Augen auf die Waffe gerichtet. »Wir sind ehrbare Leute!«
»Halt den Mund, Weib!«
Zornig stieß Bosco die Frau zu Boden.
»Lass sie! Das geht nur uns beide etwas an!«, rief Carras. Er wusste, dass Serafin in so einem Moment etwas Ähnliches gesagt hätte. Nur hätte seine Stimme dabei nicht so zittrig geklungen.
»Nur uns beide?«, schmunzelte Bosco, der langsam auf den Wolfsjungen zuging. »Das würde ich nicht so sagen! Viel mehr als du interessiert mich der Kerl, mit dem du auf Reisen warst!«
»Ich bin allein hier!«, log Carras trotzig. »Wir … wir haben uns auf der Flucht verloren.«
Da schlurfte mit
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