Dreizehn bei Tisch
Ähnliches, erklärten die Ärzte. Genau wissen wir es nicht, da sie das Mordinstrument nicht in der Wunde stecken ließ, sondern mit sich nahm.«
»Nein, nein, lieber Inspektor, Ihre Rechnung stimmt nicht.« Poirot schüttelte verdrießlich den Kopf. »Ich kenne die Dame. Einer solchen heißblütigen, jähen Handlung ist sie nicht fähig, ganz abgesehen davon, dass Frauen keine Federmesser in ihren Taschen bei sich zu tragen pflegen. Und wenn es einige wenige geben sollte, so gehört Jane Wilkinson bestimmt nicht zu ihnen.«
»Sie kennen sie persönlich?«
»Ja.« Zu näheren Erklärungen ließ sich Poirot nicht herbei, obwohl ihn Inspektor Japp neugierig ansah. »Da haben Sie also einen sehr hübsch abgerundeten Mordfall, lieber Japp«, bemerkte er gleichmütig, »und vor allem auch schon den Verbrecher. Wo aber ist das Motiv?«
»Lady Edgware wollte einen anderen Mann heiraten. Sie hat das vor wenigen Tagen in Gegenwart von Zeugen gesagt und hinzugefügt, dass sie ein Taxi nehmen und Lord Edgware mit eigener Hand ins Jenseits befördern würde, falls er ihr Schwierigkeiten mache.«
»Bravo, Inspektor!«, lobte Poirot. »Sie sind vortrefflich unterrichtet. Irgendjemand hat sich Ihnen sehr gefällig erwiesen!«
»Nun, wir hören so mancherlei, Monsieur Poirot.«
Mein Freund nickte. Er streckte die Hand nach der Morgenzeitung aus, die Japp, während er auf uns wartete, entfaltet und dann ungeduldig weggelegt hatte. Mechanisch faltete Poirot sie wieder zusammen, strich und glättete sie. Obgleich seine Augen auf den Druckzeilen ruhten, schien sein Hirn von anderen Gedanken in Anspruch genommen zu sein.
»Wenn alles so schön in Butter ist, warum kommen Sie da zu mir?«, fragte er, plötzlich aufblickend.
»Weil ich erfuhr, dass Sie gestern Vormittag in Regent Gate gewesen sind. Und gleich spitzte ich die Ohren. Wie, Lord Edgware bemühte Monsieur Poirot zu sich? Weshalb? Was argwöhnte, was fürchtete er? Und bevor ich einen endgültigen Schritt tat, wollte ich Rücksprache mit Ihnen nehmen.«
»Was bedeutet endgültiger Schritt? Die Verhaftung von Lady Edgware?«
»Richtig.«
»Bis jetzt haben Sie sie noch nicht gesehen?«
»O doch. Mein erster Weg führte mich zum Savoy. Ich wollte sie auf keinen Fall entschlüpfen lassen.«
»Ah… Und was sagte sie?«, erkundigte sich Poirot mit merklichem Interesse. »Eh, mon cher, was sagte sie?«
»Bekam hysterische Anfälle. Schlug um sich und fiel schließlich auf den Teppich. Bums! Ja, sie schauspielerte prächtig – das muss man ihr lassen.«
»Schauspielerte?«, wiederholte Poirot.
»Na, was denn sonst? Aber ich falle auf solche Mätzchen nicht herein, Monsieur Poirot. Ohnmächtig! Ich sage Ihnen, sie war ebenso wenig ohnmächtig wie ich; sie täuschte eine Ohnmacht vor, und ich bin überzeugt, dass sie ihr eigenes Spiel heimlich genoss.«
»Ja, das letztere ist allerdings sehr leicht möglich«, meinte Hercule Poirot nachdenklich. »Weiter!«
»Das Bewusstsein kehrte dann langsam zurück – angeblich, wohl verstanden. Und nun stöhnte sie und stöhnte. Ach Gott, ach Gott, wie jämmerlich sie stöhnte! Und jene sauertöpfische ältliche Haushälterin hielt ihr Riechsalz unter die Nase! Schließlich hatte sie sich genug erholt, um nach ihrem Anwalt zu verlangen. Kein Wort würde sie mir antworten, es sei denn in seinem Beisein. Hysterischer Anfall in dem einen Augenblick und der Rechtsanwalt im nächsten – nun frage ich Sie, Monsieur Poirot, ist das ein natürliches Benehmen?«
»In diesem Fall möchte ich es bejahen.«
»Sie meinen, weil sie schuldig ist und es weiß.«
»Keineswegs. Ich meine, wegen ihres Temperaments. Zuerst legt sie Ihnen ihre Auffassung dar, wie die Rolle einer Frau, die plötzlich vom Tod ihres Gatten erfährt, gespielt werden sollte. Hierauf aber, nachdem ihre schauspielerischen Instinkte befriedigt worden sind, meldet sich ihre angebotene Schlauheit und lässt sie nach einem Anwalt verlangen. Dass sie eine Szene arrangiert und ihre Freude daran hat, ist kein Beweis für ihre Schuld. Es kann auch nur das eine bedeuten: dass sie eine geborene Schauspielerin ist.«
»Doch sie kann nicht unschuldig sein. Das steht fest.«
»Sie sprechen sehr überzeugt, und ich nehme an, nicht ohne Grund«, sagte Poirot. »Zu einer Aussage ließ sie sich also nicht herbei?«
»Keine Silbe ohne Anwesenheit ihres Anwalts! Die Haushälterin bestellte ihn dann telefonisch zum Savoy. Ich ließ zwei meiner Leute dort und machte mich selbst auf die
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