Dreizehn Stunden
krampfte
sich zusammen, voller Furcht und böser Vorahnung. Als er durch die Tür ging und in den weitläufigen Saal gelangte, huschten
seine Augen automatisch zu den Wandregalen mit den Flaschen, die in langen Reihen nebeneinander standen, funkelnd wie Juwelen
im hellen Licht der eingeschalteten Lampen.
Er hörte die Russin sagen: »Das ist die Nachtschicht«, doch er starrte unverwandt die Getränke an. Sein Kopf schwirrte plötzlich
von Erinnerungen, und er wurde von einer überwältigenden |285| Sehnsucht nach den unzähligen Tagen und Nächten überfallen, die er zusammen mit vergessenen Brüdern der Flasche durchzecht
hatte. Und dann die Atmosphäre dieser schummrigen Kaschemmen, diese vollkommene Zufriedenheit, ein Glas in der Hand zu halten
und zu wissen, dass ein Nicken genügte, um es wieder füllen zu lassen.
In seinem Mund lag jedoch nicht der Geschmack des Jack Daniels, den er zu trinken pflegte, sondern der des Gins, den er heute
Morgen Alexa Barnard eingeschenkt hatte. Mit drastischer Klarheit erinnerte er sich an die Erleichterung, die sie erfasst
hatte. Er erlebte erneut die Auswirkungen des Alkohols auf sie, erkannte, wie der Gin all ihre Dämonen vertrieb. Und genau
danach sehnte er sich jetzt auch, nicht nach dem Geruch oder dem Geschmack eines bestimmten Getränks, sondern nach der Ruhe,
der Ausgeglichenheit, die ihm den ganzen Tag schon fehlte. Er schmachtete nach der Wirkung des Alkohols, er hörte, wie Vusi
ihn bei seinem Namen rief, einmal, zwei Mal, dann riss er sich von dem Anblick der Flaschen los und sah seinen schwarzen Kollegen
eindringlich an.
»Das sind die Leute von der Nachtschicht«, erklärte Vusi.
»Okay.« Griessel ließ den Blick durch den Raum wandern, während er spürte, wie sein Herz raste, seine Handflächen schwitzten,
und er wusste, dass er das gewaltige Verlangen niederkämpfen musste. Er musterte die Anwesenden. Ein Teil des Personals saß
an den Tischen, andere waren dabei, Stühle zurechtzurücken oder Tische abzuwischen. Jetzt nahm er auch die Musik im Hintergrund
wahr, eigenwillige Rockmusik.
»Könnten Sie ihnen bitte sagen, sie sollen sich hinsetzen?«, fuhr er die Federova gereizt an, ermahnte sich aber schnell,
sich jetzt schleunigst zusammenzureißen, wenn er das junge, verirrte, verängstigte Mädchen aufspüren wollte.
Die Frau nickte und klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit ihrer Mitarbeiter zu wecken. »Kommt, setzt euch!«
Es handelte sich überwiegend um Männer, neun oder zehn, dazu vier Frauen. Allesamt jung und attraktiv. Keiner wirkte besonders
begeistert darüber, verhört zu werden.
»Könnte jemand die Musik ausmachen?«, fragte Griessel, |286| dessen Nerven durch den allgemeinen Mangel an Aufmerksamkeit, den Alkohol und seine innere Anspannung ziemlich strapaziert
waren.
Ein junger Mann stand auf und ging zur Anlage, drückte oder drehte an einem Knopf. Plötzlich herrschte Stille.
»Diese Männer sind von der Polizei«, verkündete Galina Federova in sachlichem Tonfall, dem man ihren Ärger jedoch trotzdem
anhörte. »Sie möchten euch einige Fragen über gestern Nacht stellen.« Sie sah Griessel an.
»Guten Tag«, sagte er. »Letzte Nacht haben zwei amerikanische Touristinnen den Club besucht, junge Mädchen. Heute Morgen wurde
eine von ihnen oben an der Langstraat tot aufgefunden. Ihr wurde die Kehle durchgeschnitten.«
Er ignorierte die gedämpften Äußerungen des Entsetzens – zumindest hörten sie ihm jetzt zu. »Ich werde gleich ein Foto der
Ermordeten und ihrer Freundin herumgehen lassen. Wir brauchen dringend Ihre Hilfe. Wenn Sie sich an irgendetwas erinnern,
heben Sie bitte die Hand. Wir hoffen, dass das andere Mädchen noch am Leben ist, und wir müssen sie finden.«
»Ehe es zu spät ist«, fügte Vusi Ndabeni leise hinzu.
»Genau«, sagte Griessel und gab Vusi die eine Hälfte der Fotos, ging an den hintersten Tisch, begann mit dem Verteilen und
beobachtete, wie die Nachtclubmitarbeiter das Bild mit makaberer Neugier betrachteten.
Dann stellte er sich wieder vorne hin und wartete, bis Vusi das letzte Foto ausgeteilt hatte. Galina Federova setzte sich
an die Theke und zündete sich eine Zigarette an. Die Köpfe der jungen Mitarbeiter waren eifrig über die Fotos gebeugt.
Dann blickten zwei, drei von ihnen langsam auf, abwartend, und ihr zaghafter Blick verriet, dass sie die Mädchen erkannt hatten,
aber nicht die Ersten sein wollten, die die Hand
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