Dreizehn Stunden
hoben.
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Mbali Kaleni war sich der ablehnenden Haltung der Empfangsdame bewusst, aber sie verstand sie nicht. Ein Mensch musste essen.
Es war Essenszeit, und hier gab es Stühle und einen Tisch.
Das ist das Problem in diesem Land, dachte sie, diese vielen kleinen kulturellen Unterschiede. Eine Zulu aß, wenn sie Hunger
hatte, das war normal und keine große Sache. Und sie störte doch niemanden – was hatte sie damit zu tun, wie und was und wann
die Farbigen und die Weißen aßen? Wenn sie hinter geschlossenen Bürotüren oder irgendwo in einer engen, stickigen Küche ihre
geschmacklosen weißen Sandwichs verzehren wollten, war das ihre Sache. Sie war da tolerant.
Sie schüttelte den Kopf, holte die Schale mit dem Kartoffelbrei und der Soße hervor, hob den durchsichtigen Deckel ab und
achtete darauf, in kleinen, manierlichen Häppchen zu essen. Dies war ihr Ritual: Sie aß stets zuerst das Hühnchen, dann die
Kartoffeln. Die Hälfte der Limo sparte sie sich bis zum Schluss auf. Und wie gewöhnlich dachte sie beim Essen nach. Nicht
über den Tod des Musikmanagers, nein, das amerikanische Mädchen ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie war sich so sicher gewesen,
dass sie das Mädchen finden würde! Ihre Kollegen waren verwirrt umhergelaufen wie kopflose Hühner, aber so waren Männer nun
mal. Wenn die Not groß war, wollten sie handeln, diesen Impuls konnten sie nicht unterdrücken. Dabei hatte die Situation nach
Ruhe verlangt, nach Logik und kausalem Denken. Auf diese Weise hatte sie die Spur im Blumenbeet entdeckt.
Und dann: nichts. Das ging über ihren Verstand.
Das Mädchen war nicht über die Umzäunung gesprungen, um über die nächste Mauer zu klettern und draußen auf offener Straße
weiterzurennen.
Aber der alte Mann hatte gesagt, sie sei bis zur Mauer gelaufen.
|288| Warum hatte Rachel Anderson nicht an seine Tür geklopft und ihn um Hilfe gebeten? Sie hatte zu wenig Zeit gehabt. Aber wenn
sie so wenig Zeit gehabt hatte, hätte sie einen anderen Weg gewählt, um von der Straße wegzukommen. Warum hatte der Hubschrauber
sie nicht entdeckt? Um die Straße zu vermeiden, gab es für das Mädchen nur zwei Möglichkeiten. Entweder, sie versuchte, sich
in einem Haus zu verbergen, oder sie musste auf einem Grundstück ein nicht einsehbares Versteck gefunden haben. Wenn sie nicht
bei dem alten Mann untergeschlüpft war, musste sie über die nördliche Mauer gesprungen und zum nächsten Haus gerannt sein.
Aber Kaleni hatte einen Kollegen, einen langen, bohnenstangendünnen Xhosa, über die Mauer schauen lassen, weil sie selbst
zu klein war, und er hatte gesagt, da sei nichts, nur ein kleiner Kräutergarten, ein Plastiktisch und Stühle.
War das Mädchen auch noch über die nächste Mauer gesprungen, weiter in den nächsten Garten? Dann hätte der Hubschrauber sie
irgendwann entdecken müssen.
Und wenn sie so weit gekommen war – warum hatte Mbali Kaleni dann deutlich gespürt, dass sie ganz in der Nähe war?
Sie kratzte den letzten Rest Kartoffelpüree heraus, legte den Deckel wieder auf das Schälchen und packte das Schälchen wieder
in die Schachtel.
Sobald sie hier fertig war, würde sie in die Bo-Oranjestraat zurückkehren und noch einmal suchen. Das schuldete sie dem Mädchen
– die Ruhe, die Logik und das kausale Denken einer Frau.
Iván Nell saß Fransman Dekker gegenüber in Adam Barnards Büro und sagte mit tiefer Stimme: »Ich wollte mich mit Adam treffen,
weil ich der Meinung war, dass AfriSound mich betrogen hatte. Um Geld.«
»Wieso?«
»Das ist eine lange Geschichte …«
Dekker griff nach Stift und Notizbuch. »Können Sie sie mir in groben Zügen schildern?«
Nell lehnte sich in seinem Sessel nach vorn, stützte die Ellbogen auf die Knie und machte ein ernstes Gesicht. »Ich glaube,
sie |289| haben ihre Bücher getürkt. Gestern Abend habe ich Adam gesagt, ich wolle einen Steuerprüfer hinzuziehen, weil mir vieles nicht
koscher vorkam. Und als ich heute Morgen aus dem Radio von seinem Tod erfuhr …«
»Wie kamen Sie auf die Idee, dass etwas nicht stimmte?«
»Nun, wenn man Verkaufszahlen erfahren wollte, taten sie so, als wollte man ihnen ein Zahn ziehen, sie wollten nichts preisgeben.
Letztes Jahr bin ich dann misstrauisch geworden, als ich durch Verkäufe von Sammelalben, die bei Indepedent Labels erschienen
waren, wesentlich mehr Geld verdiente, als ich erwartet hatte. Da habe ich angefangen zu rechnen …«
»Also sind
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