Dreizehn Stunden
dann an Griessel weiter. »Ich glaube, IN steht für Indiana.«
»West Lafayette«, murmelte Griessel nachdenklich.
»Bestimmt ein kleiner Ort«, meinte Vusi. »Ich habe noch nie davon gehört.«
»Fax ihnen ein Foto, Vusi. Vielleicht können sie das Mädchen identifizieren.«
»Gute Idee!«
Griessels Handy klingelte schrill in seiner Jackentasche. Er holte es heraus und meldete sich.
»Bennie, ich bin’s, Mavis. Hier hat ein Inspekteur Fransman Dekker angerufen. Ich soll dir ausrichten, es habe einen Mord
in der Brownlowstraat 47 in Tamboerskloof gegeben. Wenn du willst, sollst du vorbeikommen.«
»Wenn ich will?«
»Hat er gesagt. Scheint ja ein ziemlicher Scherzkeks zu sein.«
»Danke, Mavis. Brownlow 47?«
»Genau.«
»Bin schon unterwegs.« Er beendete das Gespräch und sagte zu Vusi: »Noch ein Mord. Oben in Tamboerskloof. Tut mir leid, Vusi.«
»Schon in Ordnung. Ich rufe dich an, sobald es etwas Neues gibt.«
|44| Griessel wandte sich zum Gehen. Ndabeni rief ihm hinterher: »Bennie …«
Griessel drehte sich um. Vusi kam auf ihn zu. »Ich wollte dich noch etwas fragen. Ich … äh …«
»Nun sag schon, Vusi.«
»Die Rechtsmedizinerin. Sie … Meinst du … Ob eine farbige Ärztin mit einem schwarzen Polizisten ausgehen würde?«
Griessel brauchte ein paar Sekunden, um den Gedankensprung nachzuvollziehen. »Ich … da fragst du den Falschen. Aber warum
nicht, Vusi? Als Mann kann man es immer nur versuchen …«
»Danke, Bennie.«
Griessel kletterte über die Mauer. Am Tor zum Kirchengelände sah er einen hochgewachsenen, ernsten Mann, der mit tief bekümmerter
Miene aufschloss. Der
Dominee
ist eingetroffen, dachte er, oder hieß bei den Lutheranern der Pfarrer anders?
|45| 5
Die Verkehrslage war inzwischen chaotisch. Schon von der Langstraat bis in die Buitengracht brauchte er eine Viertelstunde.
Auf dem Buitensingel standen sie bergauf Stoßstange an Stoßstange. Griessel trank den letzten Rest seines süßen Kaffees. Damit
würde er über die Runden kommen, bis er etwas zu essen bekam. Leider war aber durch die Verzögerung sein Plan geplatzt, sich
Carlas E-Mail sobald wie möglich anzusehen. Das würde bis heute Abend warten müssen. Er hatte jetzt schon seit einer Woche
keinen Internetanschluss mehr gehabt; jetzt würde er es schon noch so lange aushalten. Carla hatte sicher Verständnis, denn
schließlich hatte es von Anfang an Schwierigkeiten mit der Kiste gegeben. Woher sollte er wissen, dass es noch Laptops zu
kaufen gab, die kein eingebautes Modem besaßen? Er hatte das Ding auf einer Polizeiauktion von nicht abgeholtem Diebesgut
erstanden, ein richtiges Schnäppchen, eine Woche, nachdem seine Tochter nach London abgereist war. Denn er wollte wissen,
wie es ihr erging, seiner Carla, die »erst den Kopf freikriegen« wollte, ehe sie beschließen würde, was sie mit dem Rest ihres
Lebens anfangen wollte.
Aber wie bekam man den Kopf frei, wenn man in einem Londoner Hotel die Teppichböden saugen musste?
Der Internetanschluss für den Rechner hatte ihn 500 Rand gekostet, denn er musste ein Modem kaufen und einen Internet-Anbieter
finden und drei Stunden lang mit der Hotline telefonieren, um eine Verbindung herzustellen, und dann tat es Outlook Express
nicht, und er musste noch eine Stunde am Telefon hängen. Dann erst konnte er Carla eine E-Mail schicken:
Hallo, ich bin’s, wie geht es Dir? Ich vermisse Dich und mache mir Sorgen um Dich. In
Die Burger
stand ein Artikel über junge Südafrikaner in London und dass sie viel trinken und Dummheiten machen. Bitte lass Dich nicht
mit solchen Leuten ein!
|46| Es dauerte eine Weile, bis er sich mit der Tastatur auskannte und alle Zeichen fand.
Lieber Papa,
ich habe einen Job im Gloucester Terrace Hotel in der Nähe von Marble Arch gefunden. Es ist eine schöne Gegend von London,
ganz in der Nähe des Hyde Parks. Ich arbeite als Reinigungskraft, von zehn Uhr morgens bis zehn Uhr abends, sechs Tage die
Woche. Montags habe ich frei. Ich weiß nicht, wie lange ich das machen werde, die Arbeit ist nicht angenehm und auch schlecht
bezahlt, aber es ist immerhin ein Job. Die anderen Mädchen stammen alle aus Polen. Als ich erzählt habe, dass ich aus Südafrika
komme, haben sie sofort gesagt: »Aber du bist doch weiß!«
Außerdem weißt Du, Papa, dass ich niemals Alkohol trinken würde.
Diese Worte rissen seine alte Wunde wieder auf, und bis tief in sein Inneres brannte das Wissen, wie viel Schaden er
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