Dreizehn Stunden
geantwortet: ›Die Sünde des Fleisches, Bärchen, die große Sünde des Fleisches.‹« Geysers Stimme versagte
endgültig. Er schwieg, beide Hände vor das Gesicht gepresst.
Bennie Griessel saß da und musste die Anwandlung unterdrücken, aufzustehen und die wuchtigen Schultern des Hünen zu berühren,
ihn zu trösten, irgendetwas zu sagen. Doch in fünfundzwanzig Jahren Dienst hatte er gelernt, skeptisch zu bleiben und nichts
zu glauben, bevor er nicht das letzte Beweisstück hatte. Er hatte gelernt, dass Menschen zu allem fähig waren, wenn das Damoklesschwert
der Gerechtigkeit über ihnen schwebte: verneinende, herzzerreißende Tränen, die gepeinigte Empörung des zu Unrecht Beschuldigten,
heftiger Protest, tiefe Reue oder armseliges Selbstmitleid. Unter diesen Umständen logen die Meisten mit erstaunlicher Geschicklichkeit,
ja, manche erlagen sogar einer so vollkommenen Selbsttäuschung, so dass sie aus tiefster Überzeugung ihre Unschuld beteuerten.
Deswegen unternahm er nichts. Er wartete, bis Jos Geyser die Fassung wiedergewonnnen hatte.
Galia Federova betätigte einen Schalter, und die Neonröhren hoch oben an der Decke des Clubs sprangen flackernd an, hell genug,
um den großen Raum in schummriges Licht zu tauchen.
|168| »Warten Sie hier!«, sagte sie zu Vusi und zeigte auf die Tische und Stühle, die rund um die Tanzfläche standen. »Möchten Sie
etwas trinken?«
»Haben Sie Tee?«
Er bildete sich ein, dass ein Lächeln über ihr Gesicht huschte. »Ich geben eben Bescheid«, sagte sie und verschwand.
Vusi ging zwischen den Tischen hindurch, die seit der letzten Nacht noch nicht zurechtgerückt worden waren. An einem blieb
er stehen, hob die Stühle herunter und setzte sich. Er legte sein Notizbuch, einen Stift und ein Handy auf den Tisch und blickte
sich verwundert um. Rechts an der Wand befand sich die lange Theke aus groben, dicken Holzbalken. An den Wänden hingen Strandgut-Imitate
aus der Windjammer-Ära, unterbrochen von modernen Neonschnörkeln mit Seeräubermotiven. Ganz hinten links stand ein DJ-Tisch
mit Plattentellern und elektronischer Ausrüstung. Davor befand sich eine Tanzfläche, meterhoch überragt von vier Tanztürmen.
Ganz oben unter dem Dach hingen Trauben von Scheinwerfern und Lasern, jetzt dunkel. Riesenlautsprecher waren an jeder Mauer
aufgehängt.
Er versuchte sich vorzustellen, wie es gestern Abend gewesen sein musste: Hunderte Leute, laute Musik, tanzende Körper, flackernde
Lichter. Doch jetzt war es hier still, leer und gespenstisch.
Er fühlte sich unbehaglich an diesem Ort.
Und in dieser Stadt.
Seiner Meinung nach lag das an den Menschen. Kayelitsha hatte ihm oft schier das Herz gebrochen. Die sinnlosen Morde, manchmal
drei am Tag, die häusliche Gewalt, die schreckliche Armut, die Hütten, das Elend. Aber er war dort willkommen, der Garant
von Recht und Ordnung. Es waren einfache Leute, seine Leute, und sie hatten ihn respektiert, unterstützt und ihm geholfen.
Dort waren neunzig Prozent aller Fälle sonnenklar und einfach gewesen. Doch in dieser Stadt waren die Verbrechen vielfältig
und kompliziert, die Liste der Aufgaben war endlos. Hier gab es nur Ablehnung und Misstrauen. Er fühlte sich immer noch wie
ein Eindringling.
»Kein Respekt«, würde seine Mutter sagen. »Das ist das Problem in der heutigen Zeit.« Seine Mutter schnitzte in Knysna |169| Elefanten aus Holz und schliff und polierte sie, bis sie glänzten und wie lebendig wirkten, doch sie weigerte sich, diese
an einem Stand am See zu verkaufen, mit dem Argument, die Leute hätten keinen Respekt mehr. Sie verknüpfte mit der »heutigen
Zeit« alles, was jenseits der braunen Gewässer des Vis- und Mzimvubuflusses lag, aber zu Hause in Gwiligwili gab es keine
Arbeit. Mittlerweile war sie in ihrem Ort ganz isoliert und stellte sich der modernen Welt nur, wenn sie einmal in der Woche
die Geschäfte abklapperte. Die übrige Zeit saß sie mit ihren Elefanten vor ihrer Wellblechhütte in Khayalethu-Suid und wartete
darauf, dass ihr Sohn sie auf dem Handy anrief, das er ihr gekauft hatte. Manchmal kam auch Zukisa und berichtete ihr, wie
viele Kunstobjekte sie an die respektlosen Touristen verkauft hatten.
Dann dachte Vusi Ndabeni an Tiffany October, die zarte junge Rechtsmedizinerin. Sie hatte dieselben sanften Augen wie seine
Mutter und dieselbe beruhigende Stimme, als verberge sich große Weisheit dahinter.
Er dachte daran, sie anzurufen, und
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