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Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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kontrolliert leise zu schließen, mit einem Donnern zufiel, das im ganzen Haus und durch die offene Balkontüre in der Küche, vom Innenhof verstärkt, bis in alle Wohnungen der umliegenden Häuser zu hören war.
    »Fuck!«, fluchte Martin durch die Zähne und schon kreischte Helena aus dem Schlafzimmer.
    »Sag mal, bist du eigentlich total bescheuert oder was ist dein verdammtes Problem?!!«
    Martin hatte gerade erst die Mappe aufgehoben, die er vor Schreck hatte fallen lassen, als sie bereits hinter ihm stand und ihn am Ärmel herumriss.
    »Was zum Teufel ist los mit dir? Bist du wieder drauf? Schau mich an!«
    »Sorry, Liebes, tut mir leid, die, ähm, Türfalle ist mir ausge…!«
    »Verdammter Idiot«, fluchte sie und schlug ihn mit der Faust mit aller Kraft, die sie schlaftrunken aufbringen konnte, in den Oberarm.
    Ohne auf Martins Entschuldigungsversuche zu warten, machte sie auf der Ferse kehrt und verschwand stampfend im Schlafzimmer, wo sie sich wütend ins Bett warf und die Decke über den Kopf |152| zog; ein deutliches Zeichen für Martin, auf keinen Fall auf die Idee zu kommen, sie heute noch einmal anzusprechen. Also ließ er es sein, nahm seine Mappe auf, die ihm nach dem Schlag nochmals aus den Händen gefallen war, und ging in die Küche.
    Dass das hatte passieren müssen, war klar, dachte er, als er sich aufs Sofa fallen ließ und eine Zigarette anzündete. Das erste, was er sich später würde anhören müssen, war die Frage, ob er wieder völlig betrunken gewesen sei oder ob er sich mit seinem neuen Freund Drogen reingezogen habe und ob die ganze Scheiße wieder von vorne losginge. Und er würde verneinen, ihr versichern, dass dem nicht so war, aber Helena würde sich festbeißen wie ein Bullterrier: Wie lange noch, Martin? Wie lange wird es noch dauern, bis du wieder total abstürzt?
    Die Frage war berechtigt, dachte er. Wie lange würde er sich noch halbwegs im Griff haben, wie lange noch?
    Angesichts des bevorstehenden Dramas gab es keinen Grund, nicht noch ein Glas oder zwei zu trinken, also schnappte er sich eine Flasche und ließ sich aufs Sofa fallen.
     
    »Sag, wie lange?«, fragte Helena am nächsten Morgen mit einer Tasse Kaffee in der einen und einer ihrer langen Mentholzigaretten in der anderen Hand.
    Martin wollte antworten, aber er schaffte es nicht. Er hatte auf dem Sofa in der Küche geschlafen und hielt sich an der Kaffeetasse, die sie ihm in die Hand gedrückt hatte, fest wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring. Die ganze Nacht lang hatten ihn Bilder vom Krieg verfolgt und manchmal hatte er das Gefühl gehabt, als explodierten die Köpfe direkt neben ihm und das warme Blut spritzte ihm ins Gesicht. Er spürte die Kugeln, die ihm um die Ohren flogen, und er schwitzte und wälzte sich und starb vor Angst tausend Tode. Er schüttelte den Kopf und versuchte, die Bilder zu verscheuchen und sich auf Helena zu konzentrieren. Aber als ihm das gelang, hätte er den Prozess lieber rückgängig gemacht: Wenn sie wirklich |153| wütend war, verwandelte sich Helenas Engelsgesicht in eine Teufelsgrimasse.
    »Helena.«
    »Was?«
    »Helena, bitte.«
    »Bitte? Bitte was? Bitte sieh dir den Scheißhaufen von einem Freund an, den ich hier habe? Der mit einer leeren Flasche Whisky und einer speckigen Mappe auf der Brust auf dem Sofa in der Küche zu sich kommt, nachdem ich ihm zwei Ohrfeigen verpasst habe, weil er auf Stimmen nicht reagiert?«
    »Ja. Ich meine nein. Helena. Bitte. Bitte lass uns später reden.«
    »Nein. Nein, nein, vergiss es! Später, später, morgen, übermorgen, no way, ich hab die Schnauze voll!«
    Sie stellte die Kaffeetasse neben dem Spülbecken ab, stemmte die freie Hand in die rechte Hüfte und nahm einen langen Zug von der Zigarette. Sexy, auch wenn kurz vor dem Siedepunkt, dachte Martin unpassenderweise.
    »Jetzt hör mir mal zu. Was denkst du dir eigentlich? Wer bin ich für dich? Glaubst du, ich schluck deinen ganzen Scheiß einfach runter, weil du hübsch bist und ein Genie und die Hälfte der Weiber in der Stadt flachgelegt hast? Geht mir am Arsch vorbei. Außerdem war das mal. Schau dich jetzt an! Eine Ruine von einem Mann. Wie unter einem Stein hervorgekrochen. Glaubst du, ich hab Mitleid mit dir? Nein, mein Lieber. Selber schuld, wenn du zu viel gesoffen und dich zur Abwechslung mal wieder mit diesem Dreck zugedröhnt hast!«
    Martin setzte sich auf, ließ den Kopf hängen und massierte sich den Nacken. Er war nicht imstande, diese Konversation zu führen, nicht

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