Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drift

Drift

Titel: Drift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
Vom Netzwerk:
die Brust gedrückt, auf dem Baum sitzt und in die Ferne schaut und in Gedanken wer weiß wo ist: »Marina hat diese Lektion schon längst gelernt. Sie hat zu viele Freunde und Bekannte ihrem Herzen folgen und sterben sehen. Sie hat ihre Lektion auf die harte Tour gelernt und weiß, was sie zu tun hat. Aber du, so verrückt du auch bist, musst aufpassen.« Man sieht zu Boden. Überlegt. Fragt schließlich, ob Josko einem sagen wolle, man dürfe sich nicht in Marina verlieben. »Ha!«, lacht Josko. »Dafür ist es ja wohl schon zu spät!« Man schaut auf und kann kaum glauben, was man soeben gehört hat. »Was?« – »Ach komm, Kleiner, wir sind alle weder blind noch blöd.« – »Und jetzt?« – »Und jetzt pass auf deinen Arsch auf. Marina ist schon seit Monaten in diesem Krieg. Du erst seit zwei Tagen. Sie kann besser auf sich aufpassen als du. Drum versprich mir einfach, dass du dich um deinen Hintern und um deinen |228| Auftrag kümmerst. Marina kommt schon klar.« Man sieht zu Marina rüber und er erkennt sofort, dass es einem nicht nur schwer fallen, sondern vermutlich sogar unmöglich sein wird, sich daran zu halten. »Okay, schau«, sagte er. »Ich verspreche dir, ich passe noch besser auf sie auf als bisher. Ich übernehme also das, was dein Herz von dir will.« – »Versprochen?«, fragt man unsicher und Josko grinst einen an, hält einem die Hand hin und sagt, als man sie nimmt und fest zudrückt: »Versprochen.« Man will Joskos Hand loslassen, aber er packt noch fester zu und drückt, bis man ihm in die Augen sieht. »Aber dafür will ich auch ein Versprechen von dir.« Man nickt. »Was?« – »Du bist vorsichtig, erfüllst deinen Teil dieses Auftrags und erledigst diese Typen.« Man nickt und drückt seine Hand fester. »Sag es«, verlangt er, und man verspricht ihm hoch und heilig, dass man sich um den eigenen Arsch kümmern und die serbischen Offiziere erwischen und ihm die Sorge um Marina überlassen wird.
    »Ich sehe, ihr seid kurz vor dem Küsschengeben«, hört man Markos Stimme hinter sich, und Josko und man selbst dreht sich um und sieht lächelnd zu ihm hoch. »Ja, wollte ihm grad ein Gutenachtliedchen singen«, sagt Josko lächelnd. »Legt euch hin«, sagt Marko. »Und versucht, zu schlafen.«
    Markos Stimme ist weder tief noch hoch, aber wenn er etwas sagt, dann kommt es an – und zwar so, dass man seinen Worten nachkommt, ohne lange zu überlegen oder sie in Frage zu stellen. Josko macht sich einen Spaß daraus, einen zu packen und einem einen Kuss auf die Wange zu drücken, bevor er aufspringt und dem Tritt ausweicht, mit dem man ihn noch zu erwischen versucht. Er sieht zu Marina hoch, die lächelnd zurückwinkt, als er die Hand hebt, zu seinem Loch geht, sich reinwirft, mit den Ästen zudeckt und vom Antlitz der Erde verschwindet; wie alle anderen Gruben nahe am Gebüsch gebuddelt, sieht man im dämmrigen Licht nicht, wo sich Josko reingelegt hat, oder überhaupt, dass Menschen Hand angelegt haben.
    »Na los, worauf wartest du?«, sagt Marko und man sieht ihn |229| kurz an, nickt, wirft noch einen letzten Blick auf Marina, die einen in eineinhalb Stunden wecken wird, jetzt aber ignoriert, und man legt sich in sein Loch und deckt sich mit den Ästen zu. »Ist gut so?«, fragt man durch den Ästedeckel und Marko sagt: »Perfekt.«
     
    Man denkt an Dracula, während man in seinem selbstgebuddelten Loch liegt und auf die Geräusche des erwachenden Waldes horcht, man denkt an bordeauxrote Plüschauskleidung und schwere Silbergriffe am hochglanzpolierten Mahagonisarg und versucht, sich den Geruch eines neuen Sargs vorzustellen und als lichtscheuer Blutsauger einzuschlafen, aber der Geruch der Walderde und das Zwitschern der Vögel hält einen ebenso wach wie der Gedanke an Marina, die in fünfzehn Metern Entfernung auf einem Baum sitzt und Wache hält und ihren aufmerksamen Blick in alle Richtungen und ungewollt immer wieder auf die Äste wirft, unter denen man wachliegt und an sie denkt, ununterbrochen an sie denkt und an ihre Augen, die zarten Glieder und den weichen Mund. Sie sieht wahrscheinlich auf die Uhr und muss noch eine Viertelstunde warten, bevor sie einem dann flüsternd sagen wird, dass sie es ist, die gleich den Deckel hebt, bevor man sich einen verwirrten Blick zuwerfen wird, einen Blick, der Zuneigung und auch ein anderes Gefühl enthalten wird, eine Viertelstunde dauert es noch, bevor sie sich in das Loch legen und an einen denken kann, der man selbst auf den Baum

Weitere Kostenlose Bücher