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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Tippy war nicht so gut
abgerichtet. Sie sagte »Mom...« in einem Ton, der Empörung und Gekränktheit
zugleich ausdrückte.
    »Das geht dich nichts an.«
    »Es betrifft mich doch auch!«
    »Warte im Wagen auf mich, Kleines. Ich
komme sofort.«
    »Darf ich nicht mal zuhören?«
    »Tu, was ich dir sage!«
    »O Mann!«, sagte Tippy. Sie verdrehte
die Augen und seufzte laut, tat aber, wie ihr geheißen.
    Sobald sie weg war, zischte mich Rhe
eisig an: »Ahnen Sie überhaupt, was Sie da angerichtet haben?«
    »Hey, ich bin hierher gekommen, um mit
Ihnen zu sprechen, nicht, um mich beschimpfen zu lassen. Was habe ich denn
getan?«
    »Tippy hat sich gerade gefangen.
Sie ist endlich auf dem richtigen Gleis, und da kommen Sie mit dieser
aberwitzigen Behauptung.«
    »Aberwitzig würde ich es nicht nennen...«
    »Lassen wir die Wortklauberei. Der
Punkt ist doch, selbst wenn es stimmt, was ich sehr bezweifeln möchte,
brauchten Sie es doch nicht an die große Glocke zu hängen.«
    »Welche große Glocke?«
    »Und außerdem — wenn Sie so fest davon
überzeugt sind, dass Tippy eine Straftat begangen hat, hat sie Anspruch auf
einen Anwalt. Sie hatten kein Recht, sie in die Enge zu treiben, ohne dass ich
dabei war.«
    »Sie ist zweiundzwanzig, Rhe. Vor dem
Gesetz ist sie erwachsen. Ich will ihr nichts anhängen. Ich dachte, es gäbe
vielleicht eine einfache Erklärung, und in dem Fall wollte ich sie hören. Ich habe
nichts weiter getan, als mit ihr zu reden, um die Fakten in Erfahrung zu
bringen, und ich habe es getan, ohne vorher zur Polizei zu gehen, was ich ohne
weiteres gekonnt hätte. Wenn ich weiß, dass eine Straftat vorliegt, kann ich
doch nicht einfach weggucken. Sobald ich sie decke, mache ich mich
mitschuldig.«
    »Sie haben sie eingeschüchtert. Sie
haben ihr gedroht und sie manipuliert. Als ich nach Hause kam, war sie völlig
hysterisch. Ich weiß zwar nichts über Ihr Leben, aber Sie täten sicher besser
daran, sich an Ihre eigene Nase zu fassen. Sie brauchen sich hier nicht zur
Richterin aufzuschwingen —«
    Ich hob die Hände. »Augenblick mal.
Einen Moment. Hier geht es nicht um mich. Hier geht es um Tippy, die im Übrigen
mit den Realitäten wesentlich besser fertig zu werden scheint als Sie. Ich
verstehe ja, dass Sie sie beschützen wollen. Das ginge mir auch so, aber wir
sollten doch nicht die Fakten aus den Augen verlieren.«
    »Welche Fakten? Da gibt es keine
Fakten!«
    »Schon gut. Fassen wir das. Ein
vernünftiges Gespräch ist offenbar nicht möglich. Ich sehe das jetzt. Ich werde
dafür sorgen, dass Lonnie sich mit Ihrem Anwalt in Verbindung setzt, sobald er
wieder da ist.«
    »Gut. Tun Sie das. Aber machen Sie sich
auf alles gefasst.«
    Der Drang, das letzte Wort behalten zu
wollen, war nahezu unwiderstehlich, aber ich hielt die Klappe und ging, bevor
ich noch etwas sagte, was ich später womöglich bereuen würde. Als ich aus der
Galerie ins Freie trat, kam Tippy auf mich zu. Sie ging neben mir her und
passte sich meinem Schritt an. »An Ihrer Stelle würde ich es lieber vermeiden,
dass Ihre Mutter uns zusammen sieht.«
    »Was hat sie gesagt?«
    »In etwa das, was zu erwarten war.«
    »Machen Sie sich nichts daraus, ja? Ich
weiß, sie ist auf hundertachtzig, aber sie wird es schon packen. Sie hatte in
letzter Zeit eine Menge Stress, aber das legt sich schon wieder.«
    »Hoffen wir’s um ihretwillen«, sagte
ich. »Hören Sie, Tipp, es tut mir wirklich Leid, dass das passieren musste. Ich
fühle mich beschissen, aber ich wüsste nicht, wie ich es hätte umgehen können.«
    »Ist doch nicht Ihre Schuld. Ich bin
diejenige, die Mist gebaut hat. Ich sollte mich beschissen fühlen, nicht Sie.«
    »Wie geht es Ihnen?«
    »Ganz gut«, sagte sie. »Ich habe
gestern Abend mit einer von meinen AA-Betreuerinnen gesprochen, und sie war
einfach toll. Sobald wir hier fertig sind, gehe ich noch einmal zu ihr, um mit
ihr zu reden, und später am Nachmittag gehe ich dann zur Polizei.«
    »Ihre Mutter hat schon Recht. Es ist
wahrscheinlich besser, vorher mit einem Anwalt zu reden. Er wird Sie beraten,
wie Sie die Sache am besten präsentieren.«
    »Das ist mir egal. Ich will es nur
hinter mich bringen.«
    »Trotzdem ist es sicher klüger.
Außerdem wird die Polizei ohnehin wollen, dass Ihr Anwalt hinzugezogen wird,
ehe Sie eine Aussage zu Protokoll geben. Möchten Sie, dass ich mitkomme?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Danke, aber
das schaffe ich schon.«
    »Alles Gute.«
    »Ihnen auch.« Sie sah zögernd zu der
Galerie

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