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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Montebello fahren sah
und ihn mir unbedingt ganz genau angucken wollte. Er sieht auch in Natur aus
wie in Technicolor, falls es jemanden interessiert.
    William stieg zu Henry ins Auto, und
sie schaukelten davon. Es war immer noch nicht abzusehen, was Rosie vorhatte.
Was immer sie im Schilde führte, sie war noch beim Vorgeplänkel. Aber William
war mir heute schon weniger selbstfixiert vorgekommen. Wir hatten immerhin ein
dreiminütiges Gespräch über die Bühne gekriegt, ohne dass auch nur ein einziges
Mal von seiner Gesundheit die Rede gewesen wäre.
    Ich fuhr wieder zurück in die Stadt,
über den 101-Süd. Ich nahm die Abfahrt Missile und hielt mich ostwärts bis zur
State Street und dann rechts. Die Axminster-Galerie, wo an diesem Abend Rhe
Parsons Ausstellung eröffnet werden sollte, befand sich in einem Komplex, der
außerdem das Axminster-Theater und eine Reihe kleinerer Geschäfte beherbergte. Die
Galerie selbst lag an einem Fußgängerweg, der hinter den Läden entlangführte.
Ich stellte meinen Wagen in einer Seitenstraße ab und nahm die Diretissima über
einen öffentlichen Parkplatz. Der Eingang war durch ein handgeschmiedetes
Eisenschild gekennzeichnet. Ein Kastenwagen stand mit dem Heck dicht an der
Tür, und ich sah, wie zwei Männer quaderförmige Blöcke ausluden, die in dicke
Umzugsdecken gehüllt waren. Die Tür stand offen, und ich folgte den Trägern ins
Innere.
    Der Eingang war schmal, vermutlich aus
Effektgründen absichtlich verkleinert, denn ich gelangte gleich darauf in einen
riesigen Raum mit fast zehn Meter Deckenhöhe. Die Wände waren knallweiß, und
Lichtfluten ergossen sich durch große Oberlichter, die man geöffnet hatte, um
frische Luft hereinzulassen. Eine komplizierte Konstruktion aus Zeltleinen,
Schnüren und Rollen unmittelbar unter der Decke gestattete es, den Raum im
Bedarfsfall abzudunkeln. Auf dem grauen Zementboden lagen Orientteppiche, und
an den Wänden hingen Batiken und gerahmte abstrakte Gouachen.
    Rhe Parsons beriet sich gerade mit
einer Frau in einem Arbeitskittel. Offenbar ging es um die Platzierung der
beiden letzten Stücke, die die Träger gerade hereinbrachten. Ich sah mich ein
bisschen um, während die beiden weiter diskutierten. Tippy thronte auf einem
Hocker an der hinteren Wand und begutachtete die Gesamtwirkung aus ihrer
Perspektive. Rhes Ausstellung bestand aus sechzehn Stücken, die auf
unterschiedlich hohen Podesten arrangiert waren. Sie arbeitete mit Gießharz und
produzierte große, glatte Blöcke von einem halben Meter Kantenlänge, die auf
den ersten Blick alle gleich aussahen. Ich inspizierte die fünf
nächststehenden. Ich sah, dass das durchscheinende Material aus fein getönten
Schichten bestand, von denen manche ein Objekt einschlossen — ein perfekt
konserviertes Insekt, eine Sicherheitsnadel, ein Medaillon an einer Kette,
einen Bund goldener Schlüssel. Das durchscheinende Licht erzeugte den Effekt
von Eisblöcken, nur dass das Harz solide und unvergänglich wirkte. Es war nicht
schwer, sich vorzustellen, wie diese Totems irgendwann einmal ausgegraben
würden, zusammen mit Putzmittelflaschen, Getränkedosenlaschen und
Wegwerfwindeln.
    Rhe musste mich gesehen haben, zeigte
jedoch keine Reaktion. Sie trug Blue Jeans und einen dicken Mohairpullover in
hellen Blau- und Mauvetönen. Ihr dunkles Haar war im Nacken zusammengenommen
und mit einem Band umschnürt, eine lange seidige Troddel, die ihr fast bis zur
Taille hing. Tippy trug einen Overall aus leichtem Baumwollköper. Hinter dem Rücken
ihrer Mutter begrüßte sie mich mit einem kurzen Fingerwedeln, das ich als »Hi«
interpretierte. Es war sehr tröstlich, dass die Person, deren Leben ich
angeblich ruiniert hatte, am Leben und wohlauf war und noch mit mir
kommunizierte.
    Rhe murmelte ihrer Mitstreiterin leise
etwas zu, und die Frau drehte sich um und starrte zu mir herüber. Sie nahm ein
Schreib-Board an sich und klackerte auf ihren Klotzabsätzen über den
Zementboden davon.
    »Hallo, Rhe.«
    »Was zum Teufel wollen Sie hier?«
    »Ich dachte, wir sollten uns
unterhalten. Ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten.«
    »Wunderbar. Ausgezeichnet. Ich werde es
meinem Anwalt weitersagen.«
    Aus dem Augenwinkel sah ich Tippy von
ihrem Hocker hüpfen und auf uns zukommen. Rhe machte eine Handbewegung, wie man
sie von Hundebesitzern kennt. Sie schnippte mit den Fingern und zeigte mit der
ausgestreckten Hand in Tippys Richtung, was so viel hieß wie »Bleib da« oder
»Platz«.
    Aber

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