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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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und David den Mord anzuhängen?«
    Ich ließ sie mit ihrem Kissen sitzen.
Sie hatte den Zipfel so lange gezwirbelt, dass er aussah wie ein Karnickelohr.
     
     
     

20
     
    Auf dem Weg nach Colgate hielt ich, um
zu tanken. Dieses Hin und Her durch die Stadt summierte sich allmählich auf
einmal Idaho und zurück, und ich bereute schon, dass ich Lonnie kein
Kilometergeld berechnete. Es war gerade kurz nach achtzehn Uhr und zäher
Verkehr, vor allem in der Gegenrichtung, stadteinwärts. Vor den Bergen hingen
Wolken wie eine Lage Mull.
    Ich steuerte in Richtung Voigt Motors
und versuchte abzuschätzen, ob Kenneth Voigt mir die Wahrheit sagen würde. Wie
sein Verhältnis zu Curtis auch sein mochte, es war Zeit, ein wenig Tacheles zu
reden. Wenn ich aus Kenneth nichts herausbekam, würde ich mir Curtis
vorknöpfen. Auf dem Parkplatz vor dem Autohaus quetschte ich meinen VW zwischen
einen Jaguar und einen Porsche. Ich ging durch den Vordereingang hinein und
ignorierte die Verkäuferin, die eilfertig auf mich zukam, und stapfte die
breite Treppe hinauf, zu der Galerie von Büroräumen, die den oberen Flur säumte
— Kreditabteilung, Buchhaltung. Offenbar musste das Verkaufspersonal ausharren
bis zum Geschäftsschluss um 20 Uhr. Das Büropersonal hatte es etwas besser:
Hier war man dabei, Feierabend zu machen. Kenneths Bürotür trug seinen Namen in
fünf Zentimeter hohen Messinglettern. Seine Sekretärin war eine Frau von Anfang
fünfzig, mit blond gebleichtem Haar, obgleich sie die einschlägige gesetzliche
Altersgrenze dafür bereits überschritten hatte. Die Zeit hatte zwischen ihren
Augen einen Sorgenwulst aufgeworfen. Sie räumte gerade ihren Schreibtisch auf,
packte Unterlagen weg, steckte Bleistifte und Kugelschreiber ordentlich in
einen Keramikbecher.
    Ich sagte: »Hi. Ist Mr. Voigt da? Ich
hätte ihn gerne kurz gesprochen.«
    »Sind Sie ihm nicht eben auf der Treppe
begegnet? Er ist vor zwei Minuten gegangen, aber vielleicht hat er auch den
Hinterausgang genommen. Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Ich glaube nicht. Können Sie mir
sagen, wo er seinen Wagen stehen hat? Vielleicht erwische ich ihn ja noch.«
    Ihr Gesichtsausdruck hatte sich geändert,
und sie sah mich jetzt misstrauisch an. »Worum geht es denn?«
    Ich würdigte sie keiner Antwort.
    Ich huschte aus der Tür, ging rasch den
oberen Flur hinunter und guckte unterwegs kurz in jeden Raum einschließlich der
Herrentoilette. Ein erschrockener Mann im Business-Anzug war gerade am
Abschütteln. Ach, Gott, wie praktisch. Wenn es auf dieser Welt so etwas wie
Gerechtigkeit gäbe, hätten wir Frauen diese kleinen Baumeldinger, und die
Männer müssten sich damit abplagen, Papier auf Klobrillen zu breiten. Ich
sagte: »Uuups. War wohl verkehrt« und schloss die Tür wieder. Ich fand die
Hintertreppe jenseits einer Tür mit der Aufschrift »Notausgang«. Ich hastete,
zwei Stufen auf einmal nehmend, hinunter und auf den Parkplatz hinaus, aber
dort war von Ken nichts zu sehen, und ich sah auch keinen Wagen wegfahren.
    Ich ging zurück zu meinem VW und fuhr
vom Parkplatz aus nach links, den Faith Boulevard hinunter, Richtung Upper
State Street. Curtis McIntyres Motel war nur eine Meile entfernt. Dieser
Stadtteil bestand aus Schnellrestaurants, Wagenwaschanlagen, Elektro-Discounts
und diversen kleinen Einzelhandelsgeschäften, zwischen die sich hier und da ein
Bürohaus zwängte. Hinter dem Cutter-Road-Einkaufszentrum kam rechts die
Auffahrt zum Freeway Richtung Norden. Die State Street zweigte links ab und
verlief ein, zwei Meilen parallel zum Highway.
    Das Thrifty Motel lag kurz vor der
Kreuzung, wo die zweispurige Schnellstraße, die in die Berge im Norden führt,
die State Street schneidet. Ich fuhr nach links auf den Motelparkplatz und nahm
den unbenutzten Stellplatz vor Curtis’ Zimmer. Die meisten Räumen entlang des L
waren hell erleuchtet, und in der Luft hing ein deftiger Geruch nach
Gebratenem, eine aromatische Mischung aus Speck, Hamburgern, Schweinekoteletts
und Bratwurst. Außerdem konkurrierten Fernsehnachrichten und dröhnende
Country-Musik um den Luftraum. Curtis’ Fenster waren dunkel, und mein Klopfen
zeigte keine Reaktion. Ich versuchte es nebenan. Der Mann, der mir aufmachte,
musste in den Vierzigern sein und hatte leuchtend blaue Augen, einen Topf-Haarschnitt
und einen Bart wie ein Haarfilz, den man aus einer Bürste gezupft hat.
    »Ich suche Ihren Nachbarn. Haben Sie
ihn zufällig gesehen?«
    »Curtis ist weggegangen.«
    »Ahnen Sie

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