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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Tür gab
einen sanftgelben Schein, der am Rande des Gartens allmählich in tiefes Dunkel
überging. Ich schlich um das Haus herum zu der hinteren Terrasse, wo zwei
grelle Scheinwerfer ungebetene Gäste abschreckten. Ich überquerte die Terrasse
und stieg die vier flachen Stufen zum Ziergarten hinunter. Das Polster auf
Peters Liegesessel war zusammengefaltet, wohl um es vor weiterem Verwittern zu
schützen. Im Laufe der Jahre hatte die Sonne den Markisenstoff zu einem Craquelé-artigen
Grau gebleicht. Ich sah, dass die Oberseite derzeit Schnecken als Tummelplatz
diente.
    Das Gras war frisch gemäht. Ich konnte
die überlappenden Längsbahnen erkennen. Wo ich die Pilze gesehen hatte, war
nichts. Ich überquerte den hinteren Grundstücksteil und versuchte, mich an die
Anordnung der Hexenringe zu erinnern. Einige Pilze hatten einzeln gestanden,
andere in Gruppen. Jetzt hatten die rotierenden Messer des Rasenmähers alles
eingeebnet. Ich hockte mich hin und ertastete zerhäckselte, fleischige Materie,
weißlich auf dem dunklen Gras. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung... ein
Schatten auf der hellen Fläche. Yolanda war da, kam durch das nasse Gras auf
die Stelle zugestapft, wo ich kauerte. Sie trug wieder einen zweiteiligen Velours-Jogginganzug,
diesmal in Magentarot. Ihre Laufschuhe schienen von lauter kleinen
Reflektorstreifen zu blitzen — auf dem makellosen Oberleder klebte abgemähtes
Gras.
    »Was haben Sie hier zu suchen?« Ihre
Stimme war leise, und in dem Schummerlicht wirkte ihr Gesicht grau und matt.
Ihr platinblondes Haar war steif wie eine Perücke.
    »Ich suche die Pilze, die neulich hier
standen.«
    »Der Gärtner war gestern da. Ich habe
ihn das ganze Stück mähen lassen.«
    »Was hat er mit dem abgemähten Zeug
gemacht?«
    »Wieso fragen Sie?«
    »Morley Shine ist ermordet worden.«
    »Das tut mir Leid.« Es klang formell.
    »Ach, wirklich?«, fragte ich. »Ich
dachte, Sie konnten ihn nicht besonders leiden.«
    »Ich konnte ihn überhaupt nicht leiden.
Er roch wie jemand, der trinkt und raucht, was ich gar nicht billige. Aber Sie
haben mir immer noch nicht erklärt, was Sie auf meinem Grund und Boden wollen?«
    »Sagt Ihnen Amanita phalloides etwas?«
    »Eine Art Giftpilz, nehme ich an.«
    »Die Sorte Giftpilz, an der Morley
gestorben ist.«
    »Der Gärtner wirft die Abfälle dort
drüben auf einen großen Haufen. Wenn er groß genug ist, lädt er ihn auf seinen
Lastwagen und bringt ihn zur Müllkippe. Wenn Sie wollen, können Sie gern das
kriminaltechnische Labor bitten, das Zeug abzufahren.«
    »Morley war ein guter Detektiv.«
    »Das bezweifele ich nicht. Was hat das
damit zu tun?«
    »Ich habe den Verdacht, dass er
ermordet wurde, weil er hinter die Wahrheit gekommen ist.«
    »Die Wahrheit über Isabelles Tod?«
    »Unter anderem. Würden Sie mir
vielleicht sagen, wieso Sie Curtis McIntyre einen Vierhundert-Dollar-Scheck
geschickt haben?« Sie schien verdattert. »Wer hat Ihnen das gesagt?«
    »Ich habe den Scheck gesehen.«
    Sie schwieg volle dreißig Sekunden, in
einem normalen Gespräch eine sehr lange Zeit. Dann sagte sie zögernd: »Er ist mein
Enkel. Auch wenn Sie das gar nichts angeht.«
    »Curtis?«, sagte ich so fassungslos,
dass es sie offenbar kränkte. »Sie brauchen das gar nicht in diesem Ton zu
sagen. Dass der Junge kein Engel ist, weiß ich wahrscheinlich besser als Sie.«
    »Entschuldigung, aber ich wäre nie und
nimmer darauf gekommen, dass Sie mit ihm verwandt sein könnten«, sagte ich.
    »Unsere einzige Tochter starb, als er
zehn war. Wir hatten ihr versprochen, ihn nach besten Kräften zu erziehen.
Curtis’ Vater war leider ein hoffnungslos verkommener Mensch, kriminell und
asozial. Er hat sich aus dem Staub gemacht, als Curtis acht war, und seither
haben wir nichts mehr von ihm gehört. Wenn Natur gegen Erziehung steht, ist die
Natur eben einfach stärker. Oder aber wir haben in irgendeinem entscheidenden
Punkt versagt...« Ihre Stimme verlor sich.
    »Ist er so in die ganze Sache
hineingeraten?«
    »Welche Sache?«
    »Er soll doch als Zeuge in dem
Zivilprozess gegen David Barney aufgefahren werden. Haben Sie je mit ihm über
den Mord gesprochen?«
    Sie rieb sich die Stirn. »Ich glaube
schon.«
    »Können Sie mir sagen, ob er zu der
Zeit bei Ihnen gewohnt hat?«
    »Ich sehe nicht, wofür das wichtig sein
sollte.«
    »Wissen Sie zufällig, wo er im Moment
ist?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Irgendjemand hat ihn vorhin in seinem
Motel abgeholt.«
    Sie sah mich starr an.

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