Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
Vom Netzwerk:
vielleicht, wohin?«
    Der Typ schüttelte den Kopf. »Bin nicht
sein Aufpasser.«
    Ich nahm eine Geschäftskarte und einen
Stift heraus und schrieb Curtis eine kleine Notiz, dass er mich so bald wie
möglich anrufen solle. »Könnten Sie ihm das hier geben?«
    Der Typ sagte: »Wenn ich ihn seh.« Er
schloss die Tür wieder.
    Ich nahm noch eine Karte, kritzelte
noch einmal denselben Wortlaut darauf und steckte sie hinter die metallene 9 an
Curtis’ Tür. Das Motelschild blinkte unermüdlich, während ich über den
Parkplatz auf das Büro zusteuerte. Es verkündete in flirrendem Grün Thrifty
Motel und machte ein Geräusch wie Fliegen, die gegen ein Fliegenfenster
surren. Das verglaste Büro war offen, und innen an einer der Scheiben lehnte
ein belegt- Schild in roten Lettern auf weißem Grund.
    Der Anmeldetressen war nackt und kahl
und nicht besetzt. Die Tür im Hintergrund stand einen Spalt offen, und in den
Räumen, die üblicherweise dem Manager Vorbehalten sind, brannte Licht. Er sah
offensichtlich eine Wiederholungsfolge irgendeiner Seifen-Serie, denn immer
wieder erscholl begeistertes Konserven-Gelächter. Jeder dritte Lacher war
besonders laut, und man konnte sich leicht ausmalen, wie der Toningenieur an
seinem Mischpult saß und die Hebel bediente: rauf und runter und rauf und
runter und weit rauf und wieder runter.
    Auf dem Tresen stand ein kleines
Schildchen mit der Aufschrift »H. Stringfellow, Geschf. Bitte läuten« neben
einem altertümlichen Klingelknopf. Ich bimmelte, was mir einen herzhaften
Lacher seitens des unsichtbaren Publikums eintrug. Mr. Stringfellow kam durch die
Tür geschlurft und zog sie hinter sich zu. Er hatte schneeweißes Haar und ein
hageres, glatt rasiertes Gesicht mit rosiger Haut und einem markanten Kinn, das
aussah, als sei es chirurgisch vergrößert worden. Er trug ausgebeulte braune
Hosen und ein kackbraunes Nylonhemd mit einem gelben Schlips. »Alles voll«,
sagte er. »Probieren Sie’s ein Stück weiter die Straße hinunter.«
    »Ich suche kein Zimmer. Ich suche
Curtis McIntyre. Haben Sie eine Ahnung, wann er wiederkommt?«
    »Keine Ahnung. Jemand kam und hat ihn
abgeholt. Ich glaube jedenfalls, es war ein Mann. Der Wagen fuhr vor, und weg
war er.«
    »Sie haben den Fahrer nicht gesehen?«
    »Nö. Hab auch den Wagen nicht gesehen.
Ich war gerade hinten am Arbeiten und hab es nur hupen hören. Gleich darauf hab
ich Curtis am Fenster langgehen sehen. Nur, weil ich zufällig durch die Tür
geguckt hab. Dann hat eine Autotür geknallt, und der Wagen ist weggefahren.«
    »Wann war das?«
    »Eben gerade. Ist vielleicht fünf oder
zehn Minuten her.«
    »Gehen seine Anrufe hier über den
Hauptapparat?«
    »Gibt keinen Hauptapparat. Er hat ein
Telefon auf seinem Zimmer. So wird alles extra gezählt, und ich brauch mich
nicht damit zu befassen. Ich will nicht so tun, wie wenn ich’s mit einer
erstklassigen Kundschaft zu tun hätt’. Lumpengesindel, die allermeisten, aber
das geht mich nichts an. Solang wie sie das Geld ordnungsgemäß im Voraus
zahlen.«
    »Ist er da gewissenhaft?«
    »Besser als die meisten. Sind Sie seine
Bewährungshelferin?«
    »Nur eine Bekannte«, sagte ich. »Wenn
Sie ihn sehen — könnten Sie ihm ausrichten, er soll mich anrufen?« Ich nahm
noch eine Karte heraus und kringelte meine Telefonnummer ein.
    Ich schloss meine Wagentür auf und
wollte gerade einsteigen, als mich ein kleines Teufelchen stupste und darauf
aufmerksam machte, dass das da genau vor meiner Nase Curtis McIntyres Tür war.
Das Schloss wirkte ganz solide, aber das Fenster gleich daneben war offen. Der
Spalt war zwar nur eine Hand breit, aber der Holzrahmen des Fliegengitters war
unten verzogen und so weit abgewölbt, dass ich meine zarten Fingerchen
hineinzwängen konnte. Ich brauchte nur das Fliegengitter herauszudrücken, das
Fenster ein Stückchen hochzuschieben, hineinzugreifen und die Türverriegelung
zu lösen. Auf dem Parkplatz war niemand, und der Fernsehlärm würde jedes
Geräusch übertönen. Ich war die ganze Woche über eine mustergültige
Staatsbürgerin gewesen, und was hatte es mir eingebracht? Die Sache würde
sowieso nie vor Gericht kommen, was machte es da schon aus, wenn ich ein
bisschen gegen die Gesetzte verstieß? So eine große Sache ist ein simpler
Einbruch ja nun auch wieder nicht. Ich wollte ja nichts stehlen. Ich wollte nur
einen klitzekleinen Blick hineinwerfen. Das ist die Art von Gedanke, mit der
mir mein kleines Teufelchen zu kommen pflegt. Schäbige

Weitere Kostenlose Bücher