Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Immerhin über 200000 Euro, auf die ich verzichtet habe. Dafür muss eine alte Frau lange stricken. Das macht man ja nicht einfach so, hopplahopp, zwischen Cappuccino und Mineralwasser. Und auf der anderen Seite der Waage liegen meine Herzklappe, meine Mageninnenwand, mein Dick- und Dünndarm, mein Nervenkostüm und meine Lebensqualität für die dreißig Jahre, die mir hoffentlich noch bleiben – ich habe prächtige Leberwerte. Und das war mir wichtiger. Lieber 200000 Euro weniger, aber mich nicht mehr über missgünstige Menschen ärgern müssen. Ich finde bis heute, das war das am besten investierte Geld meines Lebens. Besser als jede Apple-Aktie mit 30 0 Prozent Wertsteigerung.
Mit bald fünfundsechzig hatte ich einfach keine Lust mehr, mich zu är gern. Und mir war klar, sie werden mich ärgern. So viel Schmer zensgeld kann mir die ARD gar nicht bezahlen. In den letzten Jahren habe ich einige Kollegen und Freunde siebzig Jahre alt werden sehen und gemerkt, dass das für alle ein Schnitt ist. Das war für Frank Elstner ein Schnitt, das war für meinen Spezi Wolfgang Clement ein Schnitt, das war für meinen Schwiegervater Max ein Schnitt. Und in den fünf Jahren bis zu diesem Datum will ich leben, will ich Spaß haben, soweit mich der liebe Gott noch lässt. Und nicht darauf warten, ob Steffen Simon oder Tom Bartels Lust haben, meine Gäste zu nennen. Denn ob und wie es danach weitergeht, weiß niemand. Ich weiß nicht, ob ich ein zweiter Müller-Wohlfahrt bin und mit siebzig noch so schnell über den Platz rennen kann. Wobei: Muss gar nicht sein. Hauptsache, meine Füße tragen mich noch an die Bar.
Mit dieser Entscheidung gegen den Club wusste ich na türlich auch, dass sie den Boxvertrag nicht verlängern werden, die Konsequenzen waren mir klar. Wenn ich als Siemens-Manager im Spiegel -Interview einen Vorstand öffentlich beleidige, habe ich schließlich ebenfalls meinen Schreibtisch zu räumen. Insofern war es ohnehin erstaunlich, dass mich die ARD bis Dezember 2012 Boxen moderieren ließ. Ich war ja eine wandelnde Zeitbombe für die. Viele hatten bei meinem letzten Kampf am 15 . Dezember die Bux voll, dass ich zum Abschied um mich schlagen könnte wie seinerzeit Frau Schreinemakers. Was ich aber nie vorhatte, was mir völlig fernlag. Ich hege keine Rachegefühle, und ich habe seelenruhig gesagt: »Es ist heute für mich der letzte Gong bei der ARD . Ich bedanke mich für dreiundreißig wunderbare Jahre und wünsche Ihnen alles Gute. Servus aus Nürnberg.« Und das war dann mein Sport-Ciao nach über drei Jahrzehnten in der ARD . Der Erste, der mir nach meinem dann folgenden Spiegel -Interview eine Mail geschickt hat, war übrigens Jörg Kachelmann: »Super, Oida! Rückgrat bewiesen, gratuliere. Jörg.« Woran man sieht: Die gemeinsame überschäumende Liebe zur ARD verbindet.
In diesem Spiegel -Interview habe ich alles angesprochen, was mich in diesem Moment geärgert hat und was es aus mei ner Sicht zu sagen gab. Deshalb, für die Ewigkeit, und als Dokument, hier noch einmal zum Nachlesen.
Der Spiegel: Herr Hartmann, man hört, Sie haben Zoff mit der ARD ?
HARTMANN: Im Gegenteil, es ist alles geklärt. Ich habe meine Entscheidung getroffen: Die Sendung »Waldis Club« wird es im Ersten nicht mehr geben. Ich nehme das Angebot der ARD nicht an.
Der Spiegel: Was hat man Ihnen angetan?
HARTMANN: Während der Fußball-Europameisterschaft hat die Sendung um Mitternacht regelmäßig drei Millionen Men schen vor dem Fernseher versammelt. Da wäre es doch nor mal gewesen, dass ich von den Verantwortlichen des Ersten wenigstens eine SMS oder ein Fleißkärtchen mit zwei Zeilen bekomme. Was aber macht die ARD -Programmkonferenz? Beschließt zwei Tage nach dem Finale, meinen Vertrag nur bis Juni 2013 zu verlängern.
Der Spiegel: Dazu kann man Sie doch eigentlich beglückwünschen.
HARTMANN: Das ist eine Verlängerung um gerade mal ein Jahr – anstatt wie bisher um zwei! Im September fängt die Qualifikation für die WM 201 4 an. Nach den Spielen hätte es wieder den »Club« gegeben. Und plötzlich, mitten in der Qualifikation, die ja bis November 2013 dauert, hätte man ihn eingestellt? Das wäre genauso, als wenn man die Übertragung eines Fußballspiels nach der Halbzeit abbrechen würde.
Der Spiegel: Ihre Plauderrunde erntete viel ätzende Kritik: zu laut, zu kumpelig, zu blöd.
HARTMANN: Die Zuschauer haben das nie so gesehen. Nur die Feuilletonisten.
Der Spiegel: Wolf-Dieter Jacobi, Fernsehdirektor
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