Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Ali!
Meine Hauptaufgabe lautete wie folgt: Der Champ und sein ganzer Clan waren eine Woche lang in München. Dunn und Ali trainierten jeden Tag jeweils eine Stunde öffentlich im Circus Krone; die Leute mussten zehn Mark Eintritt zahlen, um Ali beim Sparring zusehen zu dürfen. Ali trainierte um vierzehn, Dunn um sechzehn Uhr. Wir sollten die Zuschauer in den Circus Krone bringen und uns darum kümmern, dass dort alles läuft, dass die Journalisten happy sind und dass Kohle ins Haus kommt. Ich habe diese Sparrings kommentiert, die Besucher erlebten also einen sehr frühen Hartmann am Mikro.
Beim Training lief jedes Mal die versammelte Ali-Entourage in voller Kompaniestärke auf: An der Spitze der Champ himself, dazu sein legendärer Trainer Angelo Dundee, seine Sparringspartner Jimmy Ellis und Duane Bobick, sein ebenfalls zum Islam konvertierter Bruder Rahman »Rudy« Ali – und jede Menge weitere Brüder im Geiste sowie nähere und fernere Familienmitglieder. Eine eindrucksvolle Prozession. Und alle versammelten sie sich jeweils auf der Seite des Rings, auf der ich mit meinem Mikro saß, als Schwarzer unter Schwarzen. Ali war damals sportlich schon auf dem Weg nach unten, knapp zwei Jahre nach dem »Rumble in the Jungle«, dem legendären Dschungelkampf in Kinshasa gegen George Foreman.
Heute kaum mehr vorstellbar, aber die Olympiahalle war nicht ausverkauft – damals waren die Leute noch nicht so eventgeil wie heute. Würde heute ein Mann wie Ali, wenn es ihn denn gäbe, im Olympiastadion kämpfen, wären die Ti ckets dafür innerhalb von einer Stunde weg. 1976 muss ten die Veranstalter kostenlose Karten an GI s verschenken, um die leeren Plätze in der Halle zu füllen. Was auch daran lag, dass der Gegner eben keiner war. Richard Dunn, ein rothaariger Engländer, kam eher durch Zufall zu diesem Kampf, weil ein williges Opfer gebraucht wurde.
So ist das eben manchmal beim Boxen. Die Veranstalter konn ten sich nur einen Star leisten und nicht zwei. Und einen vernünftigen deutschen Boxer, der zum Verhauen infrage gekommen wäre, gab es nicht.
Der Deal lautete: Bis zur fünften Runde muss Dunn auf den Beinen bleiben, dann bekommt er seine volle Gage. Denn für fünf Runden hatte der Fernsehsender NBC in den USA Werbung verkauft. Alles andere war Zugabe, doch auf Überstunden ließ sich Ali gar nicht erst ein. Erst spielte er ein wenig mit dem Engländer, ließ ihn leben, und in der fünften Runde schlug er zu – er war vielleicht nicht mehr der Gott von früher, aber auch noch kein alter Mann, kein Elvis in der Spätphase. Ali haute ihn einfach weg. Frei nach Gerd Mül ler: Dann machte es bumm.
Aber zurück zum Training im Circus Krone. Am ersten Tag übte sich Ali lässig im Seilspringen und Sparren, da kam plötzlich Angelo Dundee zu mir und meinte, die Ringseile wären etwas zu schlaff, ob ich da nicht irgendetwas machen könnte. Und ein paar kleinere Extrawünsche hätte »The Champ« auch noch (alle nannten ihn nur »The Champ«). Ich zu Dundee: »No problem, bis morgen ist alles erledigt.«
Am nächsten Tag um vierzehn Uhr haben die Seile gepasst, die Extrawürste waren perfekt durchgebraten – und die Sonne des Meisters fiel auf Waldemar Hartmann, zumindest ein win ziges bisschen Sonne. Angelo Dundee war zufrieden. Und wenn Angelo Dundee zufrieden war, war meist auch Ali zufrieden.
Dundee zu mir: »Perfect, I’m Angelo.«
»And I’m Woooldi.«
Alles lief perfetto, Dundee wurde immer zutraulicher. Der ganze Tross wohnte, genau wie ich auch, im Bayerischen Hof auf einer ganzen Etage mit vierzig Zimmern. Und sie suchten nach einer ordentlichen Adresse, um essen zu gehen, ein anständiges Steakhaus oder einen guten Italiener. Und wenn ich etwas wusste von München, dann, wo man dort ordentlich essen gehen kann …
Der ganze Clan merkte irgendwann: Der Angelo kann recht gut mit dem Woooldi, es wurde also immer lustiger, »Hi« hier und »Hi« da. Angelo Dundee kam immer wieder zu mir, haute mir auf die Schulter. »Hey Woooldi, good job!« Ich wähnte mich schon auf dem Weg zum zweiten Don King. Ich war geadelt. Oder fühlte mich wenigstens so.
Es gab aber ein Problem. Spätestens nach dem zweiten Trainingstag wussten sie im Ali-Clan: Der Dunn ist gar kein großer Boxer. Das war schlecht fürs Geschäft. Ganz schlecht.
Und so kam nach seinem dritten Training »The Champ« höchstpersönlich zu mir, zu »The Woooldi«. Der Karten verkauf lief nämlich äußerst schleppend, alle versuchten, den
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