Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Leben angefangen. Auch aus der Reha-Geschichte bin ich ausgestiegen. Als erfolgreicher Wirt und Geschäftsführer des eigenen Ladens plötzlich mit dem blauen Mikro an der Säbener Straße, war das ein Rückschritt?
Nein, es war eine Flucht vor der Gastronomie. Hintergrund: Mein Freund Roland und ich hatten uns damals um eine weitere Kneipe am zentralen Augsburger Königsplatz beworben, um ein Café. Der rote Roland und der schwarze Waldi, damit war jede politische Fraktion bedient. Das wäre im Stadt rat locker durchgegangen. Aber dann hat die Augsburger Allgemeine diese Kneipe mit einer Volksbefragung gekillt. Die haben den Laden in einer Fotomontage überdimensional groß dargestellt. Also musste alles kleiner werden, und plötzlich ging es quasi nur noch um einen Würstlstand. Wenn wir dieses Café auch noch bekommen hätten, wären wir nie aus Augsburg rausgekommen – das eine schöne Stadt sein kann. Aber wenn du etwas werden willst, musst du da weg, musst du dorthin, wo die Musik spielt …, also nach München. So wie Franz Beckenbauer mal zu Mehmet Scholl gesagt hat: »Scholli, ich kann dir keine Taktik mehr beibringen, weil du keine Ahnung hast. Also geh einfach dahin, wo der Ball ist, weil der Ball kommt nicht zu dir.«
Also ging ich dorthin, wo der Ball war.
Einmal bin ich noch rückfällig geworden in Sachen Gastronomie – in München, mit der Zeitlupe. Das ist wie Radlfahren, das verlernst du nicht. In der Zeitlupe war die CSU -Landtagsfraktion oft beschlussfähig, so viele Abgeordnete waren vor Ort. Dort wurde nicht nur die Wahl von Wolf Feller zum BR -Fernsehdirektor beschlossen, sondern auch die eine oder andere BR - oder CSU -Karriere eingefädelt. Oder aus gefädelt, je nachdem.
Die Älteren werden den Begriff »Zeitlupe« noch aus der Fernsehreportersprache kennen. Technisch bedeutete er, dass Bilder in verlangsamter Geschwindigkeit wiederholt wurden: Wir schauen uns das Tor nochmals in Zeitlupe an und genießen es. Heutzutage heißt genau der gleiche Vorgang Slow motion. Wie auch in der Fernsehsprache ein Drehort jetzt eine »Location« ist und eine Konferenz ein »Meeting«. Letz tere Tätigkeit beansprucht schätzungsweise mehr als die Hälfte der gesamten Lebensarbeitszeit eines Fernsehredakteurs. Da sind die »Sitzungen« in der Kantine und in den gekachelten Erfrischungszellen noch gar nicht mitgerechnet.
Doch ich schweife ab. Die Zeitlupe die ich meine, war für fast drei Jahre der Ort meiner Rückkehr zu den Wurzeln. 1 986 hatte ich die Wirtin dieser schmucken, direkt am Seitenausgang des Nobelhotels Vier Jahreszeiten in München gelegenen Gaststätte kennengelernt. Der Laden war eher Bistro als Kneipe und hieß zu dieser Zeit noch Premiere, die Wirtin Birgit. Bald entwickelte sich ein engeres Verhältnis als zwischen Gastwirt(in) und Gast allgemein üblich. Diese Entwicklung hatte Folgen und wurde auf den Namen Christina getauft. Weil die Tochter in geregelten Verhältnissen aufwachsen sollte, wurde geheiratet.
Plötzlich trat eine Art Arbeitsteilung, oder Neudeutsch: Job sharing, in Kraft. Ich stand wieder hinter dem Zapfhahn. Und dachte mir bei den überwiegend von Theaterpublikum besiedelten Tischen (rund um die Kneipe befanden sich das Nationaltheater, das Residenztheater, die Kleine Komödie und so weiter): Waldi, das kann nicht lange gut gehen. Richtig erkannt. Es ging nicht lange gut, denn das Publikum und ich hatten unterschiedliche Vorstellungen von der großen Bühne der Gastronomie.
Eines Abends – an den spärlich besetzten Tischen stocherten ältere, aufgebrezelte Damen in ihren Salaten mit Puten streifen und schlürften grünen Tee zu dezenter Tanzmusik von Hugo Strasser, die aus der Ministereoanlage dudelte – ging die Tür auf und eine wilde Horde verkleideter Gestalten besetzte den Laden. Es waren Spieler des FC Bayern München, die in Lederhosen von einem Besuch auf dem Oktoberfest kamen und ihrem Haus-und Hofreporter ihre Verbundenheit auch in schweren Zeiten zeigen wollten.
Als Erstes machte sich Hansi Dorfner an der Stereoanlage zu schaffen und wechselte die Kassette. Hugo Strasser raus, AC/DC rein. Da klapperten Gabeln und Gebisse, Teller und Teetassen wackelten – zwei Kulturwelten im akustischen Duell. Die Herren Dorfner, Roland Wohlfahrth, Wiggerl Kögl und Raimond Aumann mit Anhang fühlten sich pudelwohl bei AC/DC , die restlichen hochherrschaftlichen Gäste zahlten und entflohen.
Das war die Nacht der Entscheidung. Aus dem Theater bistro Premiere
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