Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
turbulente Wochen das waren 2004 – und das alles kurz nach der Fußballeuropameisterschaft in Portugal, die für die deutsche Mannschaft katastrophal verlaufen war, für mich aber mehr als erfreulich. Das ARD -Schulterklopfer-Kommando hatte Großeinsatz – nachdem mir Theo Zwanziger exklusiv den Rücktritt von Rudi Völler gesteckt hatte.
Und das kam so: Wir sind nach dem peinlichen 1 : 2 gegen die tschechische 1 b, und damit nach dem Vorrundenaus, mit der Mannschaft von Lissabon aus nachts ins Mannschaftsquartier zurückgeflogen. Für den nächsten Vormittag war eine Pressekonferenz angesetzt, Bilanz der EM und Blick in die Zu kunft. Wie geht’s weiter mit der Nationalmannschaft? Wegen der brisanten Lage galt bei ARD und ZDF die Königshochzeitslösung: Beide übertragen gleichzeitig. Also nehme ich gegen halb neun den Aufzug runter zum Arbeiten. Und wer fährt mit mir im Aufzug? DFB -Schatzmeister Dr. Theo Zwanziger, der unverhohlene Ambitionen aufs Präsidentenamt hat und mit dem ich bis dahin über ein »Guten Abend« an der Bar nicht hinausgekommen war.
Wir fahren also gemeinsam runter, und Zwanziger fragt mich: »Sind Sie denn gut vorbereitet?« Ich zurück: »Wie im mer, Herr Dr. Zwanziger.« Dann wieder er, ziemlich rätselhaft: »Sind Sie denn auch auf alles vorbereitet?« Ich, immer neugieriger, was mir der gute Mann damit sagen will: »Muss ich denn auf alles gut vorbereitet sein?« Denn alles , so schlau war ich auch, konnte nur den Rücktritt des Bundestrainers bedeuten. Zwanziger: »Ja, Sie sollten auf alles gut vorbereitet sein.«
Der Aufzug hält, er schlüpft raus, aber ich zupfe ihn an seinem Ärmel und frage ganz konkret: »Doktor, tritt er zurück?« Seine Antwort: »Ja.«
Ich mache ihm klar: »Ich gehe jetzt da raus vor die Kamera. Und ich muss das sagen. Ist das wirklich so?« – »Ja, hundert Prozent«, antwortet er, ist gar nicht mehr zu bremsen und raunt mir verschwörerisch zu, der Mayer-Vorfelder habe schon mit dem Daum telefoniert. Ich, fassungslos staunend: »Nein, wirklich?«
Hintergrund: Theo Zwanziger war, soweit ich das beurteilen kann, während der EM weniger mit Fußball beschäftigt als vielmehr mit dem gekonnten Absägen von DFB -Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder. Ich hatte sowohl mit Christoph Daum als auch mit Mayer-Vorfelder immer ein super Verhältnis, und beide haben mir unabhängig voneinander weit nach der EM Stein und Bein geschworen: Dieses Telefongespräch nach dem EM -Aus, das mir Zwanziger da unterjubeln wollte, hat es nie gegeben. Daum meinte zu mir: »Für wie doof hältst du MV denn? Der ruft doch nicht mich an. Ich war ja verbrannt damals nach allem, was passiert war.«
Aber so war Theo Zwanziger. Einerseits steckt er mir eine exklusive Information zu, den Rudi-Rücktritt. Und andererseits bindet er mir einen Bären auf, um Mayer-Vorfelder zu beschädigen. Denn das war ihm auch klar: Christoph Daum war nach seiner Kokainaffäre dermaßen persona non grata zu dieser Zeit – jede öffentliche Erwähnung in Zusammenhang mit MV konnte nur negativ auf den angeschlagenen Präsidenten und Rivalen zurückfallen. Und wie lässt sich so ein Ränkespiel besser spielen als vor ein paar Millionen Zuschauer beim Hartmann, live im Ersten?
Aber zurück zum Völler-Rücktritt: Ich also raus aus der Ho tellobby direkt zu meinem Redakteur Christoph Netzel: »Wir müssen sofort auf Sendung gehen, Völler tritt zurück.« – »Woher weißt du das?« – »Ich habe eine Quelle.« – »Und wenn’s nicht stimmt?« – »Dann müssen wir uns warm anziehen. Und du weißt ja: Am Ende kriegst nicht du die Prügel, sondern ich, weil ich die Nase aus dem Fernseher rausgehalten habe.«
Christoph hat gleich den Völler-Nachruf rausgesucht, den hat man ja immer parat. Und ich wusste: Wenn ich Rudi jetzt zurücktreten lasse, Rudi aber in Wahrheit gar nicht daran denkt, zurückzutreten – dann setze ich meinen Job aufs Spiel. Es war wie beim Roulette. Alles auf eine Farbe!
Trotzdem bin ich draußen im schönen Garten vor die Ka mera, morgens um neun, exklusiv: »Liebe Zuschauer, wie mir die Vögel von diesen Bäumen gezwitschert haben, wird Rudi Völler in der Pressekonferenz um halb zehn seinen Rücktritt erklären.« Dann lief der Nachruf. Es dauerte fünfzehn Minuten, bis das ZDF aufgewacht war und ebenfalls den mutmaßlichen Rücktritt meldete – mit einer Internetseite als Quelle, die von uns abgeschrieben hatte, und nicht mit der ARD als Quelle.
Der Arsch ging mir auf
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