Dritte Halbzeit: Eine Bilanz (German Edition)
Entscheidung, aber noch nicht konsequent genug. Wenn ich etwas zu sagen hätte bei der ARD , würde ich mich ganz abschaffen.«
Später hat man mich eh nur noch zu den Spielen geschickt, bei denen der Trainer wackelte. Ich war der Seuchenvogel der Liga. Der Totengräber. Aasgeier-Waldi. Hiob Hartmann. Auch kein schöner Job. Die Trainer haben den Kopf schon eingezogen, wenn sie mich nur von Weitem erblickt haben. Bei einem Spiel in Wolfsburg sieht mich Klaus Augenthaler und zuckt sofort kurz zusammen, bis ich ihm zu seiner großen Erleichterung erkläre: »Ich bin nicht wegen dir da, ich bin wegen Jürgen Kohler da.« Es ging um Kohlers Kopf als Duisburg-Trainer. Später war ich dann wieder in Wolfs burg und habe dem Auge sagen müssen: »Heute bin ich wegen dir da.«
Hintergrund der Suspendierung 2004 , das erklärte mir Struve vier Jahre später auf einer Geburtstagsfeier von Veronica Ferres: Wegen der Focus -Schlagzeile mit den Chaostagen hatte es eine Schaltkonferenz der ARD -Intendanten gegeben. Und, so Struve: »Wenn ich Sie am Mittag nicht suspen diert hätte, wäre nachmittags um vier Ihr Kopf gerollt, weil Sie das Bauernopfer gewesen wären. Sie hätten diese Abstimmung 9 : 0 verloren, mit Ihrem eigenen Intendanten an der Spitze. Mit der Suspendierung waren Sie aus der Schuss linie, und alle haben sich nur noch über Emig und den Strom ausfall aufgeregt.« Insofern: Danke, Doktor.
Mein sechswöchiger Aufenthalt auf Fernseh-Elba lief während der Sommerspiele aus. Boßdorf musste extra deswegen von Athen nach Deutschland fliegen, was ihn auch nicht übermäßig euphorisch gestimmt hat. Es gibt Menschen, die sich zu erinnern glauben, Boßdorf habe sich mit den Worten »Ich fliege zur Enthauptung von Waldi nach München« aus Griechenland verabschiedet. Ich würde das natürlich nie behaupten, denn ich war ja nicht dabei in Athen. Ich war ja auf Elba.
Jedenfalls ist der Koordinator in München eingeschwebt. Ich saß bereits eineinhalb Stunden bei Struve im Büro und kämpfte um meine berufliche Existenz. Unser zentrales Thema war: Wie geht es jetzt weiter? Wie könnten wir der Weltbevölkerung ein eventuelles Comeback von Waldi erklären? Und vor allem: Wie könnten wir es Boßdorf erklären? Der Koordinator musste zweieinhalb Stunden draußen vor der Tür warten, während Struve mit mir über Gott und die Welt plauderte. Es ging um Politik und alle anderen denkbaren und undenkbaren Themen. Der wollte wissen: Wie tickt dieser Hartmann eigentlich? Ist das tatsächlich so ein Sturkopf, wie manche in der ARD behaupten? Und zwischendurch sinnierte er immer wieder: »Eigentlich muss ich Sie rausschmeißen, eigentlich muss ich Sie rausschmeißen.« Und ich antwortete jedes Mal rituell: »Aber warum?« Struve darauf: »Weil es ein paar Leute in der ARD gibt, die Sorge haben, wann Sie die nächste Bombe platzen lassen.«
Meine Antwort: »Doktor, jetzt mal abseits des Protokolls: Etwas Besseres kann mir ja gar nicht passieren.« Darauf er: »Ich wusste, Sie sind ein Schwein! Aber Sie sind ein Kampfschwein! Und ich mag Kampfschweine!«
Irgendwann durfte Boßdorf, der Hüter der reinen Lehre, eintreten – der mit allem gerechnet hatte, nur nicht damit, dass wir gerade nach einer für alle tragbaren Formulierung für die Waldi-Rückkehr suchten. Die Presseabteilung durfte eine erste Presseerklärung formulieren, die aber dermaßen nach einer offiziellen Verlautbarung des Waldemar-Hartmann- Fanclubs e.V. klang, dass Boßdorf sagen musste, das unterschreibe ich niemals!
Wortwörtlich hatte der Doktor schreiben lassen: »Insbe sondere ARD -Sportkoordinator Hagen Boßdorf, der in die Ge spräche einbezogen war, kann sich eine Sportberichterstattung ohne Waldemar Hartmann nur schwer vorstellen.« Das war dann doch eine sehr freie Interpretation der realen Verhältnisse. Der Sportkoordinator wird sich gedacht haben: Also ich kann mir durchaus ein Leben ohne Waldi vorstellen, und das probieren wir am besten gleich mal aus. Deshalb gab es eine zweite Presseerklärung, die ich nicht unterschreiben konnte. Die dritte hat dann gepasst. Und ich war wieder da. Waldi aus der Asche.
Und damit lag ich in meinem ARD -Leben schon zum dritten Mal in der Aussegnungshalle. Dreimal wollten Sie mich killen, ganz am Anfang der Sprachpfleger Dr. Schmidt, dann die Kreuzerin und jetzt Struve. Und jedes Mal haben sie vergessen, den Sargdeckel zuzumachen.
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SIND SIE DENN AUCH AUF ALLES VORBEREITET?
Rudis Rücktrittsroulette
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