Driver
der Linie F nur ein paar Minuten entfernt. In Cobble Hill, Boerum Hill und dem unteren Teil von Park Slope rissen sich die schicken Restaurants ebenso um die Neuankömmlinge wie die vollgestopften Trödelläden und alten, schmutzigen Kaschemmen.
In diesem Teil der Stadt kursierten Geschichten über die Mafia wie die neuesten Witze.
Eine der neu Zugezogenen war mit ihrem Hund um den Block gegangen, hatte ihn einfach mitten auf den Bürgersteig scheißen lassen und es – weil sie ihre Verabredung nicht warten lassen wollte – versäumt, den Dreck wegzumachen. Leider befand sich besagter Bürgersteig unmittelbar vor dem Haus der Mutter eines Mafioso. Tage später fand die junge Frau den Hund aufgeschlitzt in ihrer Badewanne.
Ein anderer Pechvogel war einmal auf der Suche nach einem Parkplatz um den Block gekurvt und schließlich fündig geworden. »He, du kannst da nicht parken, der ist privat«, rief ihm ein Junge von einem Hauseingang aus zu. »So was gibt’s hier nicht«, hatte er geantwortet. Als er am nächsten Tag wiederkam, um für die Straßenreinigung Platz zu machen und damit einem Strafzettel zu entgehen, war sein Wagen weg. Er sah ihn nie wieder.
Irgendwann in den Neunzigern hatte Nino die Schnauze voll. »Das ist nicht mehr meine Stadt«, sagte er zu Bernie. »Was hältst du von Kalifornien?« Davon konnte man ziemlich viel halten. Bernie hatte in Brooklyn nicht mehr viel zu tun; das Geschäft lief von allein. Er war die alten Männer gründlich satt, die ihn zum Essen oder zu ihren Dominotischen herüberwinkten, um sich dann stundenlang zu beklagen. Er war den ganzen Haufen seiner Cousins und Neffen und Nichten satt, aus denen fast ganz Brooklyn bestand. Und er hatte genug Espresso für ein ganzes Leben getrunken. Seine letzte Tasse trank er am Tag ihrer Abreise. Danach rührte er nie wieder eine an.
Nino hatte nicht lange gebraucht, um die Zelte abzubrechen. Er verkaufte das Restaurant mitsamt seiner roten Velourstapete und den Kellnerinnen an einen der Neuankömmlinge, der daraus einen »Sushi Palast« machen wollte. Den Zeitungskiosk und die neuen schicken Kaffeehäuser übergab er an zwei Neffen. Onkel Lucius, gedrängt von seiner Frau Louise, die ihn um jeden Preis aus dem Haus haben wollte, übernahm die Bar.
Sie durchquerten das Land in Ninos kirschrotem Cadillac, hielten mehrmals am Tag für Hamburger und Steaks an Truckerbuden, begnügten sich die restliche Zeit mit Chips, Wiener Würstchen und Sardinen. Vorher, bei den wenigen Malen, die sie sich dort hinübergewagt hatten, war ihnen selbst Manhattan wie ein fremdes Land erschienen. Brooklyn hingegen war die Welt. Und hier waren sie jetzt, eilten durch die Wildnis Amerikas, durchquerten seine Hinterhöfe.
»Was für ein Land«, sagte Nino, »was für ein super Land. Alles ist möglich, einfach alles.«
Zumindest wenn man Familie, Verbindungen, Geld hatte, dann ja, klar. Dann war es kein großer Schritt mehr zu jenen Teilen der Gesellschaft, die all diese Kennedys ausspuckten und Typen wie Bürgermeister Daley in Amt und Würden hielten.
»Auch wenn’s hier so aussieht«, fügte Nino hinzu – inzwischen waren sie in Arizona –, »als hätte Gott sich hingehockt, gefurzt und ein Streichholz dran gehalten.«
Nino lebte sich in ihrer neuen Welt so blendend ein, als wäre er schon immer dort gewesen, übernahm die Kontrolle über mehrere Pizzerien und Fastfood-Lokale, beschäftigte Buchmacher und Geldeintreiber. Es war wie zu Hause, dachte Bernie, nur dass, wenn sie jetzt nach draußen schauten, sie nicht die von Stelzen getragenen Gleise der U-Bahn und auch keine auf die Außenwände der Häuser gemalten Reklamebilder erblickten, sondern blauen Himmel und Palmen.
Bernie Rose hasste das alles. Er hasste die ewig schönen Tage, hasste es, keine Jahreszeiten und keinen Regen mehr zu sehen, hasste die ständig verstopften Straßen und Highways, hasste all die mickrigen Bezirke wie Bel Air, Brentwood, Santa Monica, die Eigenständigkeit vorgaben, während sie die Ressourcen von L.A. anzapften.
Er hatte sich nie für einen politischen Menschen gehalten, aber, hey.
Zugleich machte es ihn zu einem liebenswürdigeren Menschen. Wenn er zum Abkassieren zu einem Trailer oder einer Genossenschaftswohnung fuhr, für die irgend so ein Idiot zwei Riesen hingeblättert hatte, dann versuchte er das zu verstehen, versuchte sich in die Lage des anderen zu versetzen. »Du wirst weich, Junge«, sagte Onkel Ivan – der einzige Mensch im Osten, zu dem er
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