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Driver

Driver

Titel: Driver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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Tür auf. Das ist Magie. Aber in so einem kleinen Karton?
    Weitere Erinnerungen an seine Mutter, an seine frühe Kindheit, kamen gelegentlich in den Stunden vor Tagesanbruch hoch. Er wachte auf, und sie hingen noch in seinem Kopf, aber sobald er versuchte, sie sich bewusst zu machen oder in Worte zu fassen, waren sie auch schon wieder weg.
    Er war damals – wie alt? – neun oder zehn? Saß am Küchentisch und trödelte mit seinem Erdnussbutter-Sandwich herum, während seine Mutter mit den Fingern auf die Arbeitsplatte trommelte.
    »Fertig?« fragte sie.
    Es lag immer noch fast ein halbes Sandwich auf seinem Teller, und er hatte Hunger, aber er nickte trotzdem. Immer zu allem Ja sagen. Das war die erste Regel.
    Sie riss seinen Teller weg, räumte ihn auf einen Stapel neben der Spüle.
    »Dann wollen wir mal sehen.« Sie stach ein Fleischmesser in ein Ende des Kartons, um ihn zu öffnen.
    Liebevoll breitete sie die Einzelteile auf dem Boden aus. Ein nicht zu lösendes Puzzle. Billig gefertigte Metallteile und Schläuche, Gummistücke, Beutel mit Schrauben und Muttern.
    Die Blicke seiner Mutter wanderten immer wieder zu der Anleitung, während sie Schritt für Schritt und Teil um Teil den Tisch zusammenbaute. Als die Füße Gummistopper bekommen hatten und die untere Hälfte der Beine montiert war, verriet ihre Miene, die er stets aufmerksam beobachtete, nicht mehr Glück, sondern Verwirrung. Als sie die obere Hälfte der Tischbeine verband und die Querstützen verschraubte, war ihr Gesichtsausdruck traurig. Diese Traurigkeit breitete sich über ihren ganzen Körper aus und schwappte schließlich in das Zimmer.
    Genau beobachten – das war die zweite Regel.
    Seine Mutter hob die Tischplatte aus den Tiefen des Kartons und legte sie auf das Gestell.
    Ein hässliches, billig wirkendes, wackliges Ding.
    Das Zimmer, die ganze Welt wurde plötzlich sehr still. So verharrten beide eine ganze Weile.
    »Ich verstehe das einfach nicht«, sagte seine Mutter.
    Sie saß immer noch auf dem Boden, inmitten von Zangen und Schraubenzieher. Tränen rollten über ihr Gesicht.
    » Im Katalog hat er so hübsch ausgesehen. So hübsch. Überhaupt nicht so wie das hier. «

26
    Jodies alter Fahruntersatz war ein Ford F-150, so anmutig wie eine Schubkarre, so zuverlässig wie Rost und Steuern, so unzerstörbar wie ein Panzer. Mit Bremsen, die eine Lawine aufhalten konnten, und einem Motor, der stark genug war, um Gletscher zu verschieben. Wenn Bomben die Zivilisation, wie wir sie kennen, auslöschen, werden zwei Spezies aus der Asche wieder hervorkommen: Kakerlaken und F-150er. Die Kiste ließ sich lenken wie ein Ochsenkarren, schüttelte einem sämtliche Plomben aus den Zähnen und sorgte dafür, dass man sich permanent wund geritten fühlte, aber sie war ein echter Überlebenskünstler. Machte ihren Job, was immer der Job auch war.
    Genau wie er.
    Driver steuerte die bis auf einige Flecken schwarze Bestie auf der I-10 zurück Richtung L. A. Er hatte einen College-Radiosender gefunden, der Duette von Eddie Lan und Lonnie Johnson spielte, dazu Georges Barnes, Parker mit Dolphy, Sidney Bechet, Django. Schon komisch, wie ein so kleiner Erfolg einem die Laune von Grund auf verbessern konnte.
    In einem Friseurladen am Sunset Boulevard ließ er sich die Haare fast bis auf die Kopfhaut abrasieren. Er kaufte nebenan Klamotten in XXL und eine große Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern.
    Das Nino’s befand sich zwischen einer Bäckerei und einer Metzgerei im italienischen Viertel. Alte Frauen saßen auf den Veranden der Nachbarhäuser, die Männer an Tischen, die auf den Bürgersteig gestellt worden waren, um darauf Domino zu spielen. Aufgewachsen zwischen Supermärkten hatte Driver gar nicht gewusst, dass es überhaupt noch Metzgereien gab.
    Besonders zwei Typen in dunklen Anzügen verbrachten ein Menge Zeit im Nino’s. Sie kreuzten frühmorgens auf, frühstückten zusammen, saßen dann eine Weile herum und gingen schließlich wieder. Circa eine Stunde später waren sie zurück. Manchmal ging das den ganzen Tag so. Der eine kippte einen Espresso nach dem anderen, der andere hielt sich an Wein.
    Unterm Strich waren die zwei eine Studie in Gegensätzen.
    Der Espresso-Mann war jung. Vielleicht Ende zwanzig, schwarze, kurz geschnittene Haare, in Form geklatscht mit weiß der Himmel wie viel Vaseline. Hätte man eine UV-Lampe auf diese Haare gerichtet, sie hätten fluoresziert. Klobig wirkende schwarze Schuhe ragten unter den Hosenaufschlägen

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