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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Goldstaub im Kaffeesatz –, aber Marco hörte nicht mehr hin. Alle im Bus steckten einander seit einer Woche mit derselben Erkältung an, eine der Gefahren des Kommunelebens, besonders wenn man dermaßen zusammengepfercht war, und jetzt hatte er sie sich auch eingefangen. Er hatte Kopfschmerzen. Seine Nase lief. Und der Wein lastete schwer im Magen, das war ein Fehler gewesen, und er hatte es gewußt, noch bevor er die Feldflasche an Star und dann an Premstar gereicht hatte, die ein Spitzmundschlückchen daraus genommen und sie an Mendocino Bill weitergegeben hatte. Der Bus legte sich zur Seite, richtete sich wieder auf und kippte von neuem ein Stück, und Marco sah auf Stars Hand in seiner hinab, als wüßte er nicht genau, was das war. Im nächsten Moment schlurfte er den Gang entlang zum Klo.
    Obwohl die Sonne noch hoch am Himmel stand und es nicht später als sieben sein konnte, schliefen die meisten im Bus. Reba hatte den Kopf nach hinten gelegt und schnarchte, Jiminy und Merry campierten unter einer der verblichenen Navajo-Decken aus dem hinteren Zimmer von Drop City. Mendocino Bill und Deuce spielten auf dem magnetischen Reisebrett Schach, die Hunde hatten sich unter den Sitzen eingerollt, und Che und Sunshine starrten mit glasigem Blick und rotzglänzenden Oberlippen nach vorn, als sähen sie einen Acht-Millimeter-Film mit Marco, dem plötzlich kotzübel war, als Hauptdarsteller. Wieder schwankte der Bus, Marco wurde gegen eine der Sitzlehnen geschleudert, dann hatte er es durch die Küche und in den hintersten Teil geschafft, wo er an der Tür des notdürftigen Aborts rüttelte. Der Geruch machte es nicht besser. Der gesamte Bus stank nach den ungewaschenen Leibern einer ganzen Sippe, die sich regelmäßig nur etwas nasses Seifenpulver in die Achselhöhlen tupfte und allenfalls in versifften Fernfahrerklos kurz die Haare befeuchtete, aber dieses Chemieklo war noch eine eigene Geschichte – hier drin rann aus jedem einzelnen, ob Bruder oder Schwester, die dünnflüssige Kacke der langen Reise hinaus. Marco zwang sich und drehte den Türknopf herum.
    Er schwitzte, und auf der Stirn klebten ihm die Haare unter dem roten Tuch, das er seit der Abfahrt aus Kalifornien noch nicht mal aufgeknotet hatte. Es war eng und dunkel in dem Klo, das einzige Licht war ein peepshowartiges Flackern durch das Lüftungsgitter in der Tür. Er wollte sich übergeben, weil es ihm dann bessergehen würde – so war das jedenfalls in der Theorie –, also beugte er sich über den Klositz aus Edelstahl und schob sich zwei Finger in den Rachen. Er würgte, aber es kam nichts. In der Kloschüssel schwappte etwas, drehte sich und sonderte Gestank ab. Er stützte sich gegen die vibrierende Metallwand und wolltees gerade noch einmal probieren, als auf einmal der Boden unter ihm verschwand und sich dann schlagartig wieder hob, so daß er mit dem Gesicht gegen die Tür knallte. Der Bus bewegte sich nicht mehr, und draußen schienen alle gleichzeitig loszubrüllen.
    Seine Nase war nicht gebrochen, jedenfalls nahm er das an, aber Blut hatte ihm einen dunklen Fleck auf sein T-Shirt gemacht und die schwarzgoldene Brokatweste, die Star für ihn in einem Second-handshop in Ukiah herausgesucht hatte, weitgehend ruiniert, und das war echt schade – beschissen war es, richtig beschissen –, denn diese Weste war inzwischen Teil seiner Persönlichkeit geworden, sein Erkennungszeichen, das aller Welt verkündete, wer er war und was er vorhatte. Diese Weste war hip gewesen, einfach absolut hip, und jetzt war sie hin. Andererseits war es nicht so schlimm, sagte er sich. In sechs Monaten würde er Karibuleder tragen, die Pelze von Wolf, Bär und Hermelin – was genau war eigentlich ein Hermelin? So eine Art Wiesel, oder?
    Das Blut in seinem Schnurrbart und in den Mundwinkeln war getrocknet, und er setzte sich an den Straßenrand, um abwechselnd kleine Krümel davon abzuwischen und nach Moskitos zu schlagen, während der Rest der Sippe umherwuselte und Mendocino Bill und Tom Krishna dabei zusah, wie sie versuchten, das Rad mit dem zerfetzten Reifen von der Achse herunterzubugsieren, und natürlich mußte es eines der inneren Räder sein – was hätte man schon anderes erwarten sollen? In Wahrheit war es ihm vollkommen egal, ob seine Nase gebrochen war oder nicht, ihn kümmerte weder das Blut noch der pochende, dumpfe Schmerz in seinen Nebenhöhlen, und er wußte auch schon gar nicht mehr, was er in dem stählernen Käfig des Klos eigentlich gewollt

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