Drop City
und was er ins Haar geschlungen hatte, sah aus wie eine neue Bandanna. Er fand eine Gabel, wischte sie an den Jeans ab und schob sich die hart gewordenen Reisklumpen in den Mund, viel zu beschäftigt mit Essen, um sich der Vertrauensfrage von Drop City und der zweispaltigen Einkaufsliste zu widmen, die er vor fünf Tagen um die fette Rolle der ihm zugesteckten Geldscheine gewickelt hatte. Marco betrachtete Pans Kopf von der Seite, die kümmerliche Spur seiner Koteletten, die in den noch kümmerlicheren Bart übergingen, die geballten Kaumuskeln am Kinn, aber Ronnie nahm mit niemandem Blickkontakt auf, schon gar nicht mit Premstar, die ihn eben geradeheraus angesehen und gefragt hatte: »Also, wo sind unsere Sachen?«
Jetzt fragte sie noch einmal, und Reba, Jagdfieber im Blick, schloß sich an: »Genau, Pan , was ist da los? Willst du uns erzählen, du hast sie vergessen, oder wie?«
Falls Ronnie gehofft hatte, das Gewitter würde an ihm vorbeiziehen, so würde er enttäuscht werden, das sah Marco deutlich. Er selbst hatte ihm kein Geld mitgegeben – er war zu beschäftigt, als daß ihm etwas eingefallen wäre, was er brauchte oder haben wollte –, Star aber sehr wohl, und das reichte, um ihn zum Betroffenen zu machen, mehr als genug. Bisher war Pan nicht weiter aufgefallen, er hatte sich zwar vom Hausbau und allem anderen ferngehalten, was nach richtiger Arbeit roch, das schon, aber immerhin hatte er die Verantwortung für Boot und Treibnetz übernommen, die Norms Onkel hinterlassen hatte, außerdem schoß er eifrig Löcher in alles, was sich am Flußufer bewegte, und das war Fleisch, das niemand sonst jagen und auf den Tisch bringen würde, jedenfalls nicht, solange der Hausbau Vorrang hatte. Er zieht sein eigenes Ding durch , das war jedesmal Stars Kommentar, wenn Ronnies Name im Zusammenhang mit den Arbeitseinsätzen aufkam, die Alfredo unermüdlich zu organisieren versuchte – der Latrinentrupp, der Entrindungstrupp, die Kettensäger und Sodenschneider –, und daß sie ihn so verteidigte, war etwas ärgerlich, keine Frage, aber Marco war nicht eifersüchtig, oder er gestand es sich zumindest nicht ein. Natürlich liebe ich ihn , hatte Star beteuert, aber so wie einen Bruder, wie meinen Bruder Sam, und nein, wir haben nie richtig miteinander geschlafen – nicht auf eine Weise, daß es wirklich etwas bedeutet hätte ...
»Sehe ich da Rum auf dem Tisch? Spirituosen? Alkoholika?« Ronnie hob den Kopf und fixierte die von der Sonne vergoldete Flasche mit Rum, die sich neben Boskys Ellenbogen auf der Holzplatte erhob. »Womit mischen wir den denn?«
»Unsere Sachen, Ronnie, unsere Sachen!« beharrte Reba. »Wir sprechen von den Sachen, für die wir dir Geld gegeben haben – wo sind die? Na?«
Er griff nach der Flasche, dann nach einem Becher, und schenkte sich ein. Jeder am Tisch beobachtete ihn, als hätten sie noch nie einen Mann gesehen, der ein Getränk an die Lippen führte, und sie sahen ihm zu, wie er nippte und schluckte und das Gesicht verzog. »Ich dachte, das wäre ... Haben wir die nicht im Flugzeug mitgehabt, Joe? Ich meine, heute morgen?«
Aber Joe Bosky war ihm keine Hilfe. Er saß hinter seiner verspiegelten Brille und bemühte sich nicht mal, nach den Moskitos zu schlagen, die sich auf seinen Nacken setzten. Eine dichte Qualmfahne fuhr über den Tisch und löste sich dann wieder auf. Niemand sagte ein Wort.
»Ach du Scheiße«, sagte Ronnie und klatschte sich an die Stirn. »Sag bloß, ich hab das ganze Zeug beim Bus liegenlassen ...«
»Jetzt hör schon auf mit dem Blödsinn. Du hast überhaupt nichts liegenlassen, Alter, stimmt’s?« brüllte Mendocino Bill, der sich am anderen Ende des Tisches erhob. Er hatte eine Bestellung für Scholl’s Medizinischen Fußpuder aufgegeben, weil er chronisch an Schweißfüßen litt und das Jucken ihn halb verrückt machte. »Du hast Scheiße gebaut, oder?«
Ronnie sah sich mit wilder Miene am Tisch um, der Mund verkniffen, die Blicke hüpften von einem Gesicht zum anderen. Er kalkulierte, das sah Marco genau, sondierte am untersten Schlund des Brunnens, im allertiefsten Loch fischte er nach einer Lüge, die plausibel genug war, um seinen Hals zu retten. Marco hegte keinerlei Sympathie für ihn, nicht die geringste, und in diesem Moment wurde ihm klar, wie entbehrlich Ronnie war, ob ihn Star nun als Beichtvater brauchte oder nicht – oder nein, gerade weil sie ihn brauchte. Beziehungsweise glaubte, ihn zu brauchen. Die Schatten wurden tiefer.
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