Drop City
gehabt hatte. Sie nahm sich einen zweiten Napf. Einen dritten. Sie tupfte die Brühe mit Brot auf, goß sich eine Tasse Kaffee ein. Der Regen fiel beständig, sie legte Feuerholz nach und ließ den allerersten Stich von Sorge um Sess in ihrem Denken zu, verbannte ihn dann aber wieder – er konnte für sich selbst sorgen; das war nicht schlimm, nur ein Regen. Später starrte sie in eine Zeitschrift, und noch etwas später ging sie zum Ofen, nahm den getrockneten Stummel des Joints und rauchte ihn bis zum Ende, bis auf einen dünnen Rest speichelgelben Papiers, den sie ins Feuer warf, um Beweismittel zu vernichten.
Es war schon dunkel, als Sess zurückkam, und obwohl er nach Hund und der Nässe der Wälder roch, obwohl es im Haus ebenfalls stank, nach gekochtem Bärenfleisch und zerlassenem Bärenfett und dem ersten Tod einer unendlichen Reihe von künftigen Toden, riß sie ihm ein Kleidungsstück nach dem anderen vom Leib, zog ihn ins Bett und schmolz unter dem Gewicht seines warmen Körpers dahin.
26
Sess Harder hätte es nie im Leben zugegeben, am wenigsten vor sich selbst, aber seine Hände waren kalt, und wenn seine kalt waren, dann mußten Pamelas eiskalt sein. Sie trugen beide Thermounterwäsche, dicke Pullover und darüber die Flanellhemden mit dem schwarz-roten Karomuster, die ihnen Pamelas Schwester zur Hochzeit geschenkt hatte, aber die Handschuhe steckten in ihren Brusttaschen, warm und trocken. Er wußte nicht, wie spät es war – das wußte er nie –, nahm aber an, daß es gerade mal neun Uhr sein konnte. Das Thermometer war um minus zehn Grad steckengeblieben, trotz der frühen Sonne, und mit jedem Eintauchen des Paddels kniff ihn der Fluß schmerzhaft in die Hand. Er machte jeweils zwanzig Schläge und wechselte dann die Seite, aber danach war die triefnasse obere Hand dem Wind ausgesetzt, der aus Südwesten den Fluß hinaufpfiff, und bald wurde sie taub. Kleinere Eisplatten trieben im Wasser wie grauer Schorf, und beide Ufer waren damit übersät. Jeder Atemstoß kam als Dampfwolke. Vor ihm legte sich Pamela mit aller Kraft in ihr Paddel, wechselte mit einem geschickten Schlenker des Handgelenks die Seiten und äußerte kein Wort der Beschwerde.
Mitte Oktober, und die Erlen, Weiden und Birken loderten in totem Rot und fleckigem Gelb, in jeder Nacht brach harter Frost herein, und die Umstellung der Jahreszeiten fühlte sich gut an, als erhielte das ganze Land eine Bluttransfusion, und Sess Harder war es auch selten bessergegangen. Er hatte sein Fleisch – das Glück mit dem Bären und noch mehr Glück mit einem Elch, einem großen brünstigen Bullen, der so viel Wasser gesoffen hatte, daß Sess das Gluckern in seinem Bauch aus hundert Meter Entfernung hörte –, und rund hundert Badewannen voll Weißfisch und Döbel waren auf ihrer alljährlichen Wanderung zu den tiefen Stellen im Fluß, an denen das Zufrieren ihnen nichts anhaben würde, in seinen Netzen hängengeblieben. Und Karnickel. Die Neugeborenen des Jahres waren wie verrückt nach allem Grün, um sich Winterfett anzufuttern, und so einfach zu fangen wie Maikäfer. Die Vorratskammer war voll, das Beerenobst gepflückt, das Gemüse eingelegt, und hier war seine Frau, sein Sahnehäubchen, saß vor ihm auf der Bank, der lange Bogen ihres sportlichen Rückens erhob sich aus dem Anker ihrer Hüfte und Taille, sie handhabte das Paddel mit kantigen Schultern und kräftigen Armen, und es war kein Pieps von ihr zu hören.
Sie waren auf dem Weg nach Boynton, wollten von dort nach Fairbanks, in Richard Schraders Wagen, falls sie den bekamen, und da hatte er keine Zweifel, es sei denn, ihm war die Hinterachse weggebrochen, was allerdings, wenn man es recht bedachte, nach seiner letzten Fahrt in der Karre durchaus im Rahmen des Möglichen lag. Pamela wünschte sich ein paar Tage lang Abwechslung, und er war einverstanden, noch eine letzte Dosis der Großstadt, bevor der Winter hereinbrach. Sie konnten es beide kaum erwarten, ein wenig von dem Geld zu verpulvern, das ihnen in Form von zerknitterten Scheinen im Innern diverser Blankokuverts oder Hochzeitsklappkarten zugekommen war, außerdem gab es natürlich Dinge, die sie dringend brauchten, zum Einrichten des neuen Zimmers und zum Auffrischen ihrer Vorräte an Bohnen, Reis, Tee, Kaffee, Zigaretten, Nudeln und so weiter. Und Zahnpasta, auf keinen Fall die Zahnpasta vergessen. Er hatte sich mal einen vollen Winter lang die Zähne mit dem Zeigefinger geputzt und ein andermal mit einer Mischung aus
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