Drop City
eine Pause ein. »Der mit den Knochen im Haar und der Knoblauchkette um den Hals, ja? Den Vampir nenn ich den. Der kommt hier eines Tages rein, bestellt sich einen Krug Bier und will wissen, ob er den anschreiben lassen kann, und als ich ihm sage, hier schreibt niemand an, da haut er doch glatt jeden einzelnen Gast an, ob er ein bißchen Kleingeld übrig hat.«
Aber Richard Schrader – der beste Freund, den Sess am ganzen Fluß besaß, sein Trauzeuge –, Richard Schrader schoß tatsächlich den Vogel ab. Er war nicht zu Hause gewesen, als sie das Kanu an Land gezogen hatten, deshalb schlugen sie einen großen Bogen um den buntbemalten Bus und den Hippie, der da um einen Brennofen und eine schimmernde Reihe glasierter Schüsseln, Teller und Aschenbecher herumhüpfte, aufgereiht auf einem gespalteten Holzscheit, als sollte hier bei Sess ein Töpfereiladen eröffnet werden, jetzt aber bog er – Richard – mit seinem Wagen auf den Parkplatz ein, stürmte durch die inzwischen moskitofreie Tür, und als erstes brüllte er: »Sess, diese Kerle müssen verschwinden, die verwandeln meinen Vorplatz in einen Wanderzirkus, und ich kann dir sagen, ich hab keine Nacht länger als zwei Stunden geschlafen, seit die hier sind mit ihrem Gegröle und Geschrei und diesem scheußlichen Radau aus Gitarren und Tamburinen und was sonst noch alles, und weißt du schon, daß die ihre Lautsprecher aus diesem Bus abgeschraubt und oben auf dem Dach montiert haben, so daß sie ihre Scheißmusik über den ganzen Fluß und sonstwohin dröhnen lassen können? Übrigens hab ich sehr wohl versucht, mit ihnen vernünftig zu reden, wirklich, aber da kommt nichts zurück außer ›Friede, Bruder‹, und ›Fick dich doch selber‹ ...«
Sess trank noch ein Bier. Er ließ sich Zeit. Wischte seinen Teller mit einer Scheibe flockigem, fertig gekauftem Brot aus. Bestellte einen Nachtisch. Verzichtete auf einen zweiten Schnaps. Äußerlich wirkte er ganz ruhig, doch in ihm brodelte es, und dann legte er zum Zahlen etwas Geld auf den Tisch, erbat von Richard die Wagenschlüssel und sagte Pamela, er müsse kurz mal weg. Er war noch keine zwei Schritte zur Tür hinaus, da rannte ihm Lynette hinterher und packte seinen Arm. »Übrigens, Sess«, sagte sie, und scharfe Falten warfen rings um ihre Lippen Wälle auf und hoben entlang ihrer Nasenflügel und in den Winkeln der eingeschrumpelten Augen wahre Gräben der Mißbilligung aus, bis sie aussah wie eine dieser gefriergetrockneten Mumien, wie man sie öfter in den Anden fand. »Du hast doch irgendwie Joe Bosky eins ausgewischt, oder?« Sie sah hinunter auf ihr Pistolenhalfter und dann wieder zu Sess. »Ich sag dir eins: Nimm dich in acht vor dem Kerl ...!«
Also fuhr er den Pickup die paar hundert Meter in den Ort rein und ließ ihn behutsam durch die tiefen Furchen und halbvergrabenen Steine bis auf den Vorplatz seiner Hütte rollen. Der Staub wehte ihm hinterher. Er knallte den Wahlhebel in die Parkstellung, ließ den Motor noch kurz aufheulen, dann drehte er den Zündschlüssel um. Als erstes hörte er die Musik, markerschütternder Gesang über Gitarre, Schlagzeug und einem elektrischen Piano, so voll aufgedreht, daß die Lautsprecher nicht ganz damit fertig wurden. Weiter rechts sah er die zwei Wagen stehen, den VW-Käfer und den Studebaker; beide dürften seit einem Monat nicht mehr bewegt worden sein. Im Windschatten des Busses ragte der Brennofen auf und verströmte seine Hitze durch die Ritzen, so daß Sess den Anblick seiner Hütte leicht geriffelt erlebte; sie brauchte im übrigen dringend einen frischen Anstrich. Der Bus dagegen brauchte keinen Anstrich. Hier war jemand sehr fleißig gewesen, und falls sie eine einzige Farbe des Spektrums vergessen hatten, wäre Sess nicht eingefallen, welche.
Die Luft war sauber, die Sonne ging ihrem Tagwerk nach. Es war wärmer, als es hätte sein dürfen. Er stieg aus dem Pickup, mitten hinein in den Sturm der Musik, ging zum Bus und klopfte an das übermalte Glas. Er klopfte noch einmal. Nach einer Weile begann er mit der Faust darauf einzuhämmern, und es war ein Glück – ein Glück für sie –, daß er keinen zweiten Schnaps getrunken hatte. »Aufmachen!« rief er. »Wer da auch drin ist, macht gefälligst auf!«
Er spürte, wie der Bus kaum merklich in den Federn schwankte, dann öffnete sich zischend die Tür, und der Kerl, den alle den irren George nannten, stand auf der obersten Stufe, in eine schmutzige grüne Wolldecke gewickelt. Er war
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