Drop City
ersten. Sie hatten sich im Williwaw Motor Inn im Bett herumgelümmelt, Zigaretten geraucht, Rum-Cola aus Plastikbechern getrunken und dem mystischen Flackern der Welt zugesehen, eingefangen und festgehalten in einem kleinen Kasten, zu dem die meisten Menschen eine erstaunlich enge Beziehung unterhielten. Sie kauften ein. Klapperten die Kneipen ab. Und auch wenn er enttäuscht feststellte, daß es im Hundezwinger kein einziges Vieh mit vier Beinen und Schwanz gab, das über sieben Kilo wog – lauter Chihuahuas und Königspudel und Cockerspaniels –, war er zufrieden. Er fuhr den Fluß hinauf nach Hause, mit seiner Frau und so vielen notwendigen und nicht notwendigen Dingen, wie sie tragen konnten, einschließlich diverser Hippietöpfereien, und es kümmerte ihn einen Dreck, was in Boynton inzwischen passiert war.
Sie trafen am späten Nachmittag im Ort ein, und es blies ein eiskalter Wind. Sess fuhr am Three Pup einfach vorbei, bog mit dem Pickup direkt auf Richards Einfahrt und setzte ihn dann ein Stück rückwärts an den Fluß heran. »Brauchen wir noch was aus der Hütte?« fragte er sich laut, während ihm Pamela schon die Kartons mit den Einkäufen, Gaskartuschen und Ölkannen, eine Tüte mit neuen warmen Socken, Unterwäsche und Filzeinlagen für die Fellstiefel herüberreichte. Er stand vornübergebeugt und verteilte die schwere Ladung im Kanu. Der Wind packte sein Haar und zerrte heftig daran.
»Nicht daß ich wüßte«, sagte sie, richtete sich auf und starrte über die eisengraue Fläche des Flusses. Der Himmel war düster. Ganze Armadas von Eisschollen waren zur Schlacht mit dem offenen Wasser angetreten.
»Na schön, also dann los«, sagte er, »denn dieser Himmel gefällt mir überhaupt nicht, absolut nicht.«
Pamela trug ihren Parka, und sie hatte die Kapuze aufgesetzt, sobald sie aus dem Pickup geklettert war. Ihre Hände schauten nur wenig aus den Ärmeln hervor, die Schultern hatte sie gegen den Wind hochgezogen, und Nasenspitze und Wangen bekamen bereits kräftig Farbe. Als sie das Paddel aus den Duchten nahm, sah er ihre weißen Knöchel vor der dunkel geölten Maserung des Holzes. Sie warf ihm ein mattes Lächeln zu und nahm ihren Platz im Bug ein, und er mußte unwillkürlich an den Unterschied zwischen jetzt und damals denken, als sie zum erstenmal den Fluß hinaufgefahren waren, mitten im lauschigen Juni – andererseits hatte Alaska das bißchen Ungemach ja nun ohne Ansehen der Person für jeden in petto, und schon bald würde er wieder mit ihr im Blockhaus am Kamin sitzen, einen Becher mit irgendwas Heißem in der Hand. Als sie sich abstießen, zerschmetterte das Kanu die Spinnweben aus Eis, die am Ufer hingen. Niemand mußte ihm erzählen, daß dies die letzte Kanufahrt des Jahres würde.
Sie waren einen Kilometer unterwegs, als Pamela sich zu ihm umdrehte. »Die Schlüssel«, sagte sie. »Was ist mit den Schlüsseln?«
»Hab ich im Pickup steckenlassen, wie immer. Oder etwa nicht?«
»Sieh lieber in deinen Taschen nach, Sess – du weißt ja, wie das neulich war.«
Seine Hand war so taub, daß er sie kaum in die Jacke schieben konnte, und was nahm da unter seinen tastenden Fingern Gestalt an? Eine Schachtel Streichhölzer, sein Taschenmesser, die Geldscheinklemme – und die Schlüssel zu Richard Schraders Wagen. Also kehrten sie um, und er kletterte die Böschung hinauf, vorbei an dem völlig stillen Hippiebus, steckte die Schlüssel ins Zündschloß des Pickup, nahm die Böschung im Laufschritt und stieß das Kanu von neuem ab.
Der Wind war noch heftiger geworden und machte ihnen zu schaffen, deshalb mußten sie nahe beim Ufer bleiben, um dem größten Ansturm zu entkommen, aber das bereitete ihnen gleich das nächste Problem, denn dort bildete sich bereits festes Eis und hielt sie auf eine Armlänge Abstand. Die Dämmerung brach herein. Sie legten sich schweigend in die Paddel. Er dachte an gar nichts, lief auf Autopilot, Paddelschlag und noch ein Paddelschlag, als er plötzlich das Geräusch des Flugzeugs wahrnahm. Er hörte den Motor – sie hörten ihn beide –, noch ehe sie es sahen, und als es in Sicht kam, als es sich abrupt aus dem beißenden Wind materialisierte, flog es keine siebzig Meter hoch über dem Fluß und nahm dieselbe Richtung wie sie. Der Lärm explodierte geradezu, als die Maschine unmittelbar über sie hinwegstrich, dann vor dem Kanu einen weiten Bogen beschrieb und nochmals auf sie zuhielt, und dabei dachte Sess: Das ist Howard Walpole oder Charlie
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