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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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barfuß, und seine Haare sahen aus wie eine zweite Wolldecke, oder nein, es erinnerte an das Zeug, aus dem Jill damals in ihrer Wohnung Untersetzer für die Blumentöpfe gebastelt hatte, eine Art Jute, rauh und filzig, und aus den strähnigen Büscheln ragte ein halbes Dutzend ausgebleichter Tierknochen hervor. »Oh«, sagte der irre George in dem Versuch, Sess’ Gesicht einzuordnen. »Oh, hallo!«
    »Hör mal zu«, und Sess fühlte einen Ärger in sich aufwallen, der in krassem Gegensatz zur Schwere des Vergehens stand, »du und deine Leute, ihr müßt hier verschwinden. Allesamt. Und nehmt gefälligst euren ganzen verdammten Dreck mit.«
    Der irre George vollführte eine vage Gebärde. Er sah nicht aus, als könnte er sich noch weitere dreißig Sekunden auf den Beinen halten. »O Mann«, sagte er nach längerer Pause, und Sess verstand ihn kaum bei dem Radau aus den Lautsprecher, »du redest besser mit Harmony. Genau ... Mit dem Freak solltest du mal reden ...«
    Eine glückliche Fügung für alle, daß in diesem Augenblick Harmony um die Vorderseite des Busses kam, beide Hände klebrig von Ton. Soweit Sess das beurteilen konnte, war der Mann etwa in seinem Alter. Er trug das dichte blonde Haar so lang wie eine Frau, aber der wilde rötliche Fu-Manchu-Schnurrbart glich den Effekt einigermaßen aus, und bei seinen relativ seltenen Zusammentreffen mit der Sippe hatte Harmony auf Sess immer den vernünftigsten Eindruck von allen gemacht – jedenfalls war er ein weit angenehmerer Gesprächspartner als Senders Neffe, der dazu neigte, in Romanen zu reden, als würde er pro Wort bezahlt. Harmony wirkte überrascht. Er wischte sich die Hände an der Jeans ab, legte den Kopf schief und betrachtete Sess über den Rand seiner Drahtbrille. Eben wollte er wohl sagen: »Hey, was tut sich so, Alter?« – Sess hätte seine Farm darauf verwettet –, doch ehe er den Mund aufbekam, legte Sess mit seiner Gardinenpredigt los, in der er sämtliche Übertretungen der Hippies aufzählte, ihn über die öffentliche Meinung unterrichtete und ihm unmißverständlich klarmachte, er müsse dafür sorgen, daß sie allesamt einpackten und sich einen anderen Platz suchten, um ihre Töpfe zu töpfern, ihre Musik dröhnen zu lassen und ihr Marihuana und LSD zu rauchen.
    Sess wußte nicht genau, wie lange er gequasselt hatte, aber nach einer Weile gesellte sich zu Harmony dessen Frau oder Freundin oder was sie auch sein mochte, eine dünne, hinfällige kleine Figur mit entrücktem Lächeln, der üblichen irren Frisur und Brüsten, die zu einer doppelt so großen Frau gepaßt hätten, und die beiden standen einfach vor ihm und hörten ihm andächtig zu wie Studenten in einem vollbesetzten Hörsaal. Gerade als er fertig war, als er sich alles von der Seele geredet hatte und langsam daran dachte, wieder in den Pickup zu steigen, Pamela abzuholen und mit ihr nach Fairbanks zu donnern, um das Leben und den Herbst und die Vorratskammer zu feiern, die zum Bersten voll mit Fleisch war, da fand die Schallplatte, die er die ganze Zeit hindurch zu übertönen versuchte, abrupt ihr Ende, und Harmony sagte: »Hab schon verstanden, Mann.« Er legte der Frau einen Arm um die Schultern und zog sie an sich. »Hey, du hast dich echt supercool verhalten, und wir finden das alle klasse, sogar der irre George. Und hör zu, kann sein, daß wir damit ein bißchen spät dran sind, aber Alice und ich wollten dir schon länger ein Zeichen unseres Dankes schenken. Hier«, sagte er und deutete auf die Reihe aus unförmigen Aschenbechern und Rauchgeräten und schlanken Trinkgefäßen, die auf dem nackten Brett standen und zudem noch etliche Baumstümpfe im Gelände zierten, »such dir einfach was aus ...«
    Als sie drei Tage später aus Fairbanks zurückkamen, war der Bus noch da. Logisch war er noch da – was hatte er denn erwartet, etwa, daß sie ihn mit Geheimtinte übermalten? Vermutlich sprang das Ding nicht mal mehr an. Wozu sich etwas vormachen – die Karre hatten sie jetzt am Bein. Vielleicht würde in zehntausend Jahren die nächste Eiszeit wieder mal einen kilometerhohen Gletscher über die Tundra kriechen lassen und ihn zu Staub zermalmen, aber einstweilen, dachte Sess, konnte er sich ebensogut daran gewöhnen, denn dieser Bus fuhr nirgendwohin. Und inzwischen – mit drei Tagen Abstand – konnte er sich auch nicht mehr recht darüber entrüsten. Pamela und er hatten eine einmalige Zeit hinter sich, ihre zweiten Flitterwochen – im Grunde genommen die

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