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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Star hatten damals wirklich einen draufgemacht. Sie waren voll in Fahrt, auf dem reinsten Triumphzug waren sie. Zwei total riesige Superpartys, und danach waren sie noch in einem Club mit Livemusik gewesen, sie hatte sich als Katze verkleidet, in einem Trikot mit Samtbesatz, das an den richtigen Stellen knalleng anlag, und mit aufgemalten Schnurrhaaren, die er ihr längst abgeleckt hatte, als die Nacht zu Ende ging, und sie war keineswegs die einzige – alle Bräute waren als Sexmiezen oder Füchslein oder Vampire aufgetakelt, stellten ihre Brüste und Beine und alles andere auch zur Schau. Er fragte sich, ob eigentlich schon mal irgendwer, ein Soziologe oder so, darüber geforscht hatte, denn Bräute verkleideten sich unweigerlich als jedermanns erotische Phantasien, während die Freaks immer eher ins Absurde tendierten. Und was lernte man daraus? Daß die Männer gern herumhingen, was kifften und Partys feierten, während die Frauen – die Weibchen, die Bräute –, die wollten besabbert werden, die verlangten Verehrung .
    Ronnie war damals als Pan gegangen, mit waldbraun gefärbten Teufelshörnern aus dem Kostümfundus, einer Panflöte, die er unter einem Haufen Gerümpel im Musikraum ihrer alten Highschool gefunden hatte, und den mit langen Haaren besetzten Leggins, die ihm seine Mutter auf der Nähmaschine gemacht hatte, und für solche Sachen war sie echt gut, seine Mutter. Und so absurd war es auch wieder nicht, ganz und gar nicht. Eher schon cool. Aus dem Nichts waren mehrere Leute auf ihn zugekommen, um ihn zu beglückwünschen, und wenn er auch nicht den Preis für die beste Verkleidung gewann – irgendein Arschloch mit einer Spiro-Agnew-Maske sahnte den Hauptgewinn ab, eine echte, ein Meter hohe Wasserpfeife, die Alex, der Clubbesitzer, aus Marrakesch mitgebracht hatte –, so war ihm das egal. Das war die Nacht, in der er Ronnie hinter sich gelassen hatte, die Nacht, in der er für immer Pan geworden war. Die Erinnerung daran ließ ihn vom Bett aufstehen, und er fing an, sich die Felleinlagen in die Stiefel zu schieben, doppelte Socken überzustreifen, die Stiefel zuzuschnüren und Schicht um Schicht Kleidung anzuziehen.
    »Gehst’n hin, Mann?« wollte Sky Dog wissen. »Um Süßigkeiten betteln?«
    Es waren zwölf Kilometer bis nach Boynton, die man jetzt auf der breiten Straße des Flusses zu Fuß gehen konnte, und sechs bis Drop City. Zwölf sind zwei mal sechs, dachte er sich draußen in der Dunkelheit und der Kälte, die seinen Atem wie eine Dampfmaschine fauchen ließ, und deshalb wandte er sich nach rechts, als er den Yukon erreicht hatte, und ging in nordöstliche Richtung. Dabei dachte er an Star. Auf Drop City würden sie heute abend garantiert feiern, keine Frage – Halloween, das Fest der Verrückten. Norm würde die Sau rauslassen. Wenn irgendwer, dann Norm. Ronnie hörte das Knirschen und Knacken seiner Schritte, die die dünne Schneeschicht über dem Eis zermalmten, einen Fuß vor den anderen, sechs Kilometer waren ja nicht mehr als ein Spaziergang im Park, und ihm war auch nicht kalt, nicht im geringsten.
    Das Geheimnis der Entfernungen hatte ihm Sess Harder einmal verklickert, damals, als er sich noch in der Nähe von Sess’ Haus sehen lassen konnte – was inzwischen nicht mehr der Fall war, seit er mit Pamelas Fünfer Dope gekauft hatte, aber hey, tant pis , wie der Franzose sagte. Der Wind ließ nach, und da war der Mond. Und was er nie kapiert hatte: Wieso hieß dieser Fluß nur Thirtymile – sollten es dann nicht dreißig Meilen, fünfzig Kilometer, von Boynton bis zur Mündung in den Yukon sein? Sess war beschäftigt gewesen, immer in Action, der Mann, beim Flicken des Geschirrs für sein Hundegespann, und Pan hatte bei ihm rumgehangen, ein nachbarschaftliches Bier in der einen Hand und was zum Rauchen in der anderen, während Sess in seinem gemächlichen Tonfall die mathematischen Hintergründe erläutert hatte: »Die Distanzen berechnen sich hier alle in Meilen ab Dawson, im Yukon Territory«, hatte er begonnen. »Ursprünglich sind nämlich die ersten Siedler von dort aus den Fluß runter hierhergekommen, deshalb hast du den Fortymile River im Südosten von Eagle Village und den Seventymile weiter nördlich davon, und dann war es wohl so, daß niemand einen Fluß den Hundredmile nennen wollte – klang vielleicht unheimlich, so eine hohe Zahl –, also haben sie den hier einfach den Thirtymile genannt, weil er rund dreißig Meilen vom Seventymile in den Yukon mündet. Alles

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