Drop City
öffnete die Tür zum Tageslicht und blieb dort noch kurz stehen. »Mach’s gut, Pan«, sagte er, und dabei hätte er beinahe losgelacht. »Und du auch, Bruce«, rief er noch hinein, »bis bald wieder, Jungs. Und danke für alles.«
Draußen schwand allmählich das Licht. Die Wolken hingen bleich und wie geronnen über den Baumwipfeln. Sein Atem hing gefroren in der Luft, aber er bewegte sich weiter und ließ ihn hinter sich, ein Wölkchen nach dem anderen. Er war schon gut einen Kilometer gelaufen, da fiel ihm ein, in den Kammern der Gewehre nachzusehen, denn was nützten sie schon, wenn nichts zum Schießen drin war? Zwei Patronen in der Springfield und eine in der Winchester. Er hatte ein blödes Gefühl, aber er konnte schlecht zurückgehen, noch mal anklopfen und von Ronnie auch die Munition einfordern, die er sicherlich im Laden in Boynton auf Vorrat gekauft hatte, wo sie auch für Marco oder jeden anderen zu haben wäre, sobald irgendwer das nächstemal Lust hatte, die rund vierzig Kilometer in die Stadt und zurück auf sich zu nehmen. Zwei Gewehre, drei Kugeln. Als er damals in Seattle mit Norm den Onkel besucht hatte (und es war genauso gewesen, wie er es sich auf dem Acidtrip damals ausgemalt hatte, ein echtes Déjà-vu: der alte Mann im Bett und an der Wand seine Schneeschuhe, und obwohl Marco mit Karma oder Mystizismus oder überhaupt irgendeiner Vorausbestimmung nicht viel am Hut hatte, reichte es aus, ihm auch jetzt noch einen kalten Schauer einzujagen), hatte Onkel Sender nebenbei herumgebrabbelt, er habe nur zwei Schuß pro Jahr abgegeben, nämlich einen für seinen Elch und einen für seinen Bären. Na schön. Zum erstenmal besaß Marco jetzt die Mittel, Fleisch zu besorgen. Und als er die Gewehre wieder schulterte und aus der Hocke hochkam, lauschte er in den Wind und studierte den Schnee mit den Ohren und Augen eines Jägers.
Irgendwann – er konnte später nicht mehr genau sagen, ob er schon eine halbe Stunde vom Woodchopper Creek hinter sich hatte oder weniger – sah er Elchfährten im Schnee am Südufer des Flusses, die sauberen Hufabdrucke, die abgefressenen Weidenzweige, ein dunkles Häufchen Elchlosung auf dem unbeschriebenen Blatt des Schnees, und er bog sofort vom Eis ab, um die Spur zu verfolgen. Sie führte ihn landeinwärts, und es war nicht nur ein einzelner Elch – zwei, vielleicht auch drei, je nachdem, wie man die Fährten las, und da war er kein Experte, das gab er bereitwillig zu. Aber er hatte schon Rotwild gejagt, damals in Connecticut, und ein Elch war ja auch nur so was wie Wild, wenn auch vielleicht sechsmal so groß wie ein Reh und recht gefährlich, durchaus imstande, sich gegen seinen Widersacher zu wenden und ihn zu zerfleischen, ihn richtiggehend zu zermalmen, aber letztlich war es doch ein Stück Wild. Er nahm das schwere Jagdgewehr mit den beiden Patronen von der Schulter und schob sich möglichst behutsam durch die Weidenzweige. Da waren die Fährten, da noch eine Losung und weiter vorn eine V-förmige Spur, die jeder Idiot bis in die Mitte des Dickichts hätte verfolgen können. Er ging immer weiter, voller Jagdinstinkt, und er bemerkte kaum, daß es zu schneien begann.
Hätte er ein wenig darüber nachgedacht, was er da tat, wären ihm sicher Bedenken gekommen. Das Gelände war ihm nicht vertraut, das Licht schwand vom Himmel, und der Schnee fiel jetzt heftiger. Schlimmer noch, er hatte keinen Wetterschutz, kein Essen, nicht mal einen kleinen Rucksack mit Papier, Streichhölzern und einer Bodenplane – er war ja nur kurz spazierengegangen, eineinhalb Stunden übers Eis zum Woodchopper Creek bei gutem Wetter. Er war nicht für die Jagd gekleidet, trug nicht mal die allernotwendigste Ausrüstung bei sich, aber er hatte die Gewehre, das war etwas Neues, und er sah die Spuren im Schnee, und er dachte einfach nicht darüber nach. Vielmehr mußte er, während er sich immer tiefer in den Wald begab, an Pans Juckreiz denken und daran, wie komisch das war, so verräterisch und lächerlich.
Lydia hatte die Sackratten mitgebracht – Filzläuse, Phthirius pubis , harte kleine Krabbelviecher, ähnlich wie Zecken, die man leicht genug wieder loswurde, wenn man schnurstracks die nächste Apotheke ansteuerte, das richtige Entlausungsmittel auftrug und die Unterwäsche auf dem Scheiterhaufen der Geschlechtsbeziehungen verbrannte. Aber Drop City hatte keine Apotheke, bis nach Boynton war es ein langer kalter Fußmarsch, und es gab keine Garantie, daß man das Nötige dort
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