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Drop City

Drop City

Titel: Drop City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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als könnten sie die Gabel zum Mund heben, wenn es doch mal Essen gab, und Star hatte die flüchtige Phantasie, sie müsse sie allesamt füttern und dann noch wickeln und einen nach dem anderen zu Bett bringen. Wenn sie sprachen, dann nur im Flüsterton, als wollte keiner mehr die eigenen Gedanken laut äußern, und in der Enge des Versammlungsgebäudes herrschte ständig ein insektoides Schwirren von tonlosen Stimmen, die am Gewebe des Nachmittags sägten. Die Gesichter waren ausdruckslos, die Blicke leer. Es war eindeutig ein Tag zum Bekifftsein, und so etwas nahm man auf Drop City sehr ernst. Star trieb selbst einigermaßen dahin, wie die Pappelbäusche auf dem Fluß, damals, als es noch einen Fluß gegeben hatte – und Pappelbäusche. Sie erhob sich, um Holz nachzulegen und im Topf etwas Öl zu erhitzen. Drei Schritte waren es vom Tisch zum Ofen, aber dabei sah sie das bleiche Stieben am Fenster wie eine Bildstörung in einem Schwarzweißfernseher. Marco war irgendwo da draußen, dachte sie. Er sollte inzwischen zurück sein.
    Merry sagte gerade: »Kein Wort rede ich mehr mit Jiminy, das schwör ich. Nicht bis er mir erzählt, wer es war, und ich weiß es sowieso schon, ich meine, da hätte ich doch blind sein müssen ...«
    Maya, beim Schneiden: »Dunphy.«
    »... aber ich will es von ihm hören, die Wahrheit, nur einmal. Nur ein einziges Mal möchte ich die Wahrheit aus seinem Mund hören.«
    Beide sahen zu Lydia hinüber, die in ihrem Pelzmantel an der Wand saß und in einer der Zeitschriften blätterte, die sie als Geschenk für die Kommune mitgebracht hatte – Mademoiselle, Cosmopolitan, Esquire, Playboy, Rolling Stone –, ebenso wie kiloweise Schokolade, französische Edelseife und kanadischen Whiskey. Und die Filzläuse. Die auch.
    Star warf eine Handvoll Knoblauchwürfel in das heiße Öl, und alle merkten sichtbar auf, denn diesem Duft konnte sich niemand verschließen. Dann holte sie die Zwiebeln von Merry. Hier oben konnte man sich zu Tode frieren, dachte sie – hatte sie da nicht mal in der Highschool was gelesen, die berühmte Geschichte von diesem Greenhorn, einem Mann, der neu in Alaska war, kein Feuer in Gang bringen konnte und dann versuchte, seinen Hund umzubringen, damit er wieder warme Hände bekäme. Der Hund war schlauer als der Mann, das wußte sie noch. Aber er war ein Greenhorn, darauf kam es an, ein Grünschnabel, der keine Ahnung hatte, wie hart das Land und wie unbarmherzig die ewige Nacht war, ein unerfahrener Anfänger. So wie Marco. Es gab wilde Tiere da draußen im Wald, Wölfe, Bären, und dann dieses rasende schwarze Kreissägenvieh, das durch die Gegend flitzte, als stünde es in Flammen – der Vielfraß, der Bärenmarder oder Järv –, ein erschreckendes Tier, und wenn es imstande war, innerhalb von zehn Sekunden eine Ziege auszuweiden, was konnte es dann mit einem Menschen anstellen? Und hierzulande knallten sich Leute auch schon mal gegenseitig ab, wegen der Waffen, mit den Waffen, aber das würde Ronnie doch niemals ...
    »Riecht ja toll.« Das war Lydia, die ihr über die Schulter spähte. »Was kriegen wir denn heute abend, Saumon surprise ?«
    Star grinste und wischte sich mit dem Handrücken das Haar aus dem Gesicht. »Was denn sonst?« sagte sie und schob Knoblauch und Zwiebeln im zischenden Öl herum. »Lachs ist doch die Spezialität des Hauses.«
    Sie sah auf, vorbei an Lydia und zur Tür. Dort hatte sie ein Geräusch gehört, einen dumpfen Schlag, als wäre etwas tot auf der Schwelle zusammengebrochen – Marco , dachte sie, Marco! –, dann flog die Tür auf, und Jiminy stand im Raum, stampfend und in die Hände pustend, in seinem Militärwintermantel von der Heilsarmee. Auf dem Kopf trug er eine Strickmütze, die eng an seinem Schädel anlag und die Ohren bedeckte, außerdem hatte er sich sein Halstuch um Kopf und Gesicht gewickelt wie einen Tschador. Der Schnee bildete Kristalle auf seinen Augenbrauen, hatte die Mütze weiß gefärbt und die gefütterten Schultern des Mantels zugeweht. »Ach du Scheiße!« knurrte er und zog sich dabei Schicht für Schicht aus. »Da draußen ist es so kalt, daß man sich beim Pinkeln an den Strahl anlehnen kann.«
    Star sah, wie er einen Blick mit Merry wechselte – »Hey, Mer«, sagte er, aber sie sah nur bohrend durch ihn hindurch –, und dann war er an der Reihe, »Riecht ja toll« zu sagen, und er stellte sich gleich dicht an den Ofen, rieb seine Handflächen und sah versonnen in den Topf, als überlegte er soeben,

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